Wenn Klettereinsteiger die Frage stellen, wie sie besser werden können, bekommen sie häufig eine Antwort: Klettern, klettern, klettern. Man soll viel Zeit an der Wand verbringen, möglichst abwechslungsreiche Routen wählen und vielseitige Bewegungen machen, um Erfahrung zu sammeln. Der Rest ergibt sich von allein, heißt es. Ich selbst habe das sicher schon Dutzenden Leuten auf den Weg gegeben, die mich in ihrer Einstiegszeit um Rat gefragt haben. Und auch wenn der Tipp gut ist und du garantiert keinen Fehler damit machst, ihn zu befolgen, ist er nur ein Teil der Wahrheit. Man kann als Einsteiger mehr machen als nur klettern. Das Problem ist, die Antwort wird dann komplizierter – und wesentlich individueller.
Wie viel Zeit hast du?
Die wichtigste Frage für die Ausgestaltung des Trainings ist in jedem Fall, wie viel Zeit du in das Klettern investieren kannst. In den allermeisten Fällen scheitern Trainingspläne nicht am Mangel an Motivation, sondern an den Möglichkeiten, sie umzusetzen. Wer sich begeistert vornimmt, vier Mal die Woche Mammutprogramme zu absolvieren und meint, das werde trotz anderer Verpflichtungen schon irgendwie gehen, merkt schnell: Es kann schwer sein, sich nach einem langen Tag in die Halle zu schleppen und dort ein ausgiebiges Training zu absolvieren. Vor allem wenn der Körper eigentlich noch von der vorherigen Einheit geplättet ist. Nach ein paar Wochen ist von der initialen Begeisterung nur noch wenig übrig, die Trainingstage werden seltener bis der ausgeklügelte Plan schließlich in einer Schublade verschwindet.
All das kannst du dir sparen, wenn du von vornherein realistisch schaust, welches Pensum überhaupt möglich ist. Für die meisten Menschen werden das zwei bis drei Einheiten in der Woche sein. Aber selbst mit einer einzigen Klettersession lässt sich bereits etwas erreichen. Wichtig ist, die Trainingsinhalte so zu wählen, dass sie zum jeweiligen Pensum passen. Für den Fall, dass du…
…einmal in der Woche zum Klettern gehen kannst:
Eine Klettereinheit in der Woche ist zugegebenermaßen nicht viel. Für erfahrenere Kletterer genügt es kaum noch, um Fortschritte zu machen. Einsteiger allerdings profitieren davon, das größte Verbesserungspotenzial zu haben und deshalb auch mit wenig Einsatz Erfolge erzielen zu können. Sei es bei der Technik, bei der Kraft oder der mentalen Fitness. Allein die anfängliche Unsicherheit abzulegen, macht bereits einen gewaltigen Unterschied.
Um das Ergebnis deiner wenigen Sessions zu optimieren, solltest du auf Qualität Wert legen. Auch wenn es motiviert, Boulder um Boulder abzuhaken, hochzukommen ist nicht alles. Gib dich nicht damit zufrieden, den Topgriff erreicht zu haben, wenn der Weg dorthin mehr Krampf als Genuss war. Gute Klettertechnik zeigt sich in kontrollierten, fließenden Bewegungen, die von außen fast mühelos wirken können. Versuche Boulder, die dich herausgefordert haben, ruhig mehrere Male, um ein Gefühl für die Bewegungen zu bekommen und sie effizienter lösen zu können.
Natürlich kannst du deine Sessions auch dazu nutzen, ganz gezielt an bestimmten Klettertechniken zu arbeiten. Welche das sind, erfährst du in meinem Buch Grundkurs Bouldern. Außerdem kannst du dir meine Videoserie zu den Boulder-Basics anschauen, um besser zu verstehen, auf was es beim Klettern ankommt.
Wenn die Frage nach Trainingsmöglichkeiten kommt, geht es natürlich immer auch darum, körperlich stärker zu werden. Hier bieten sich für Einsteiger Übungen an, die die allgemeine Fitness verbessern. Eigengewichtsübungen wie Liegestütze, Klimmzüge und Handstände oder Zugübungen an den Ringen wie das Rudern machen dich auch fürs Klettern fit. Viel mehr braucht es tatsächlich anfangs nicht. Die Übungen kannst du am Ende deiner Session oder – besser noch – an einem separaten Tag machen, solltest du die Zeit dafür finden.
…zwei Mal in der Woche zum Klettern gehen kannst:
Wenn du es schaffst, zwei Mal in der Woche an die Wand zu gehen, sind das gute Voraussetzungen, um auch langfristig Fortschritte zu machen. Das höhere Trainingspensum gibt dir die Möglichkeit, Schwerpunkte für deine Sessions zu setzen. An einem Tag kannst du zum Beispiel versuchen, einen schweren Boulder im nächsten Grad zu knacken, während du dich in der nächsten Session vielleicht eher darauf konzentrierst, deine Technik auf das nächste Level zu bringen.
Solange wenigstens ein bis zwei Tage Pause zwischen diesen beiden Sessions liegen und du in dieser Zeit keinen Sport machst, der die gleichen Muskeln beansprucht, ist diese Schwerpunktsetzung aber völlig optional. Du könntest also auch an beiden Tagen schwere Boulder projektieren. Gehst du doch an zwei aufeinanderfolgenden Tagen, empfehle ich dir, Tag 1 und 2 unterschiedlich zu gestalten. Ist der erste Tage körperlich sehr anspruchsvoll, sollte die Kletterei an Tag 2 weniger physisch sein, um das Verletzungsrisiko gering zu halten. Wichtig bleibt auch hier, dass du großen Wert auf deine Bewegungsqualität legst. Hochzukommen ist wie gesagt nur die halbe Miete.
Kannst du dir deine zwei Trainingstage frei wählen, empfehle ich dir, sie gleichmäßig auf die Woche zu verteilen. Dadurch optimierst du das Verhältnis zwischen Belastung und Erholung, was dich schneller körperlich fitter werden lässt. Willst du noch mehr herausholen, bietet es sich natürlich an, die bereits genannten Übungen für die allgemeine Fitness im Training unterzubringen.
…drei Mal in der Woche zum Klettern gehen kannst:
Viel hilft viel – wenn der Ehrgeiz einmal richtig zugeschlagen hat, wird das oft zur Devise. Leider ist ein hohes Trainingspensum nicht automatisch gleichbedeutend mit schnelleren Fortschritten. Tatsächlich kommt beim Bouldern schnell der Punkt, an dem aus „viel“ zu viel wird. Ganz konkret betrifft das den Sehnen- und Bandapparat, der beim Klettern stark belastet wird und zur Anpassung länger als die Muskulatur braucht. Fallen die Erholungszeiten ständig zu gering aus, wird hohe Belastung zur Überlastung und führt schließlich zu einer Verletzung.
Das heißt nicht, dass drei Mal in der Woche bouldern zu gehen zwingend schon zu viel ist. Aber du musst es schlau anstellen, um auf der sicheren Seite zu sein. Der erste Punkt: Pack deine drei Sessions nicht direkt hintereinander in die Woche. Ein bis zwei Tage Pause dazwischen sind optimal. Setze außerdem Schwerpunkte. Wechsle also Einheiten, in denen du dich auf schwere Boulder stürzt, mit solchen ab, in denen du dich stärker auf deine Technik oder deine mentale Stärke konzentrierst. Auf körperlich anspruchsvolle Sessions sollten immer leichtere Einheiten folgen.
Gerade weil dein Pensum bereits sehr hoch ist, wird außerdem ergänzendes Training zur Pflicht. Nur zu klettern begünstigt langfristig muskuläre Dysbalancen, die zu Gelenks- und Haltungsproblemen führen können. Je häufiger du trainierst, desto schneller tritt das ein. Deshalb musst du mindestens einmal in der Woche mit entsprechenden Übungen gegenhalten.
Ist eine gute Session automatisch gutes Training?
Was macht für dich aktuell eine gute Session aus? Bist du zufrieden, wenn du ein paar schwere Boulder geschafft hast? Erwartest du, eine gute Zeit mit deinen Freunden zu haben? Oder ist dir vor allem wichtig, dass du am Ende Spaß hattest? Die vielleicht nicht ganz so angenehme Wahrheit ist: All das spielt in einer echten Trainingssession keine zentrale Rolle. Klar ist es schön, wenn man nebenbei ein paar Späße machen oder gemeinsam projektieren kann und am Ende etwas Schweres klettert. Und natürlich kann so etwas Teil des Trainings sein, im Zentrum muss aber stets das Trainingsziel der jeweiligen Session stehen.
Wenn du dich dazu entscheidest, eine Technikeinheit an der Platte zu machen, musst du dich überwinden, deine Zeit dort zu verbringen, auch wenn deine Kletterkollegen sich in den Überhang verabschieden. Steht eine bestimmte Übung auf deinem Plan, ziehst du diese durch, auch wenn das bedeutet, dass dir im Anschluss die Kraft fehlt, um dein Projekt abzuschließen. Und wenn du für das Ende deiner Session noch ein paar Übungen in der Trainingsecke eingeplant hast, dann beendest du deine Zeit an der Wand rechtzeitig, auch wenn es gerade gut läuft.
Das ist etwas, was viele anfangs nicht verstehen. In die Halle zu gehen und – vielleicht auch schwer – zu bouldern und richtiges Training sind nicht unbedingt das gleiche. Training ist auf ein längerfristiges Ziel ausgerichtet. Dazu gehört es gelegentlich auch, einen Teil des Spaßes zu opfern. Später zahlt sich das allerdings durch größere Fortschritte aus.
Was sind Schwerpunkte und wie trainiert man sie?
Ich habe bereits mehrfach erwähnt, dass du in deinem Training Schwerpunkte setzen solltest. Was genau das bedeutet ist bisher aber eher vage geblieben. Zu sagen, heute konzentriere ich mich auf meine Technik und beim nächsten Mal auf meine Kraft, ist ein Anfang. Effektiver wird es aber mit konkreteren Zielen. Merkst du beispielsweise, dass dir die Kraft fehlt, Griffe am angezogenen Arm zu halten, kannst du an deiner Blockierkraft arbeiten. Fallen dir Fußwechsel schwer, kannst du das ebenfalls gezielt üben. Kommt dir an der Wand deine Angst in die Quere, arbeitest du an deinem Fokus. Je genauer du weißt, wo deine Schwächen liegen, desto leichter fällt es dir, passende Übungen zu finden. Wenn du selbst keine Idee hast, wo es hakt und wie du daran arbeiten kannst, hilft dir mein Buch Bouldertraining weiter.
Welches ergänzende Training macht Sinn?
Eine der häufigsten Klagen, die ich von Einsteigern höre, ist natürlich, dass die Fingerkraft fehlt. Darauf folgt wenig überraschend die Frage, was man da tun könne. Tatsächlich kann gezieltes Fingerkrafttraining auch für Klettereinsteiger Vorteile bringen. Gleichzeitig können sich aus den stärkeren Fingern aber auch Nachteile ergeben. Wirklich empfehlen kann ich Fingertraining deshalb nur, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, was selten der Fall ist.
Übungen zur Verbesserung der allgemeinen Fitness kannst du hingegen völlig bedenkenlos in dein Training einbauen. Die bereits erwähnten Klimmzüge und Liegestütze stellen viele heute bereits vor eine Herausforderung und sind deshalb eine wertvolle Ergänzung zum Klettern.
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Besonders wichtig ist jedoch die Stärkung der Körpermitte. Von zusätzlicher Körperspannung profitiert nahezu jeder, unabhängig davon, wie lange er oder sie bereits klettert. Körperspannung ist die Grundlage kontrollierter Bewegungen an der Wand und hilft, Verletzungen zu vermeiden. Das gilt selbst für solche, die dem Anschein nach erst einmal nichts mit dem Rumpf zu tun haben. Der Sportarzt und Kletterer Prof. Dr. med. Volker Schöffl führt beispielsweise viele Fingerverletzungen auf mangelnde Kraft im Oberkörper und zu geringe Rumpfstabilität zurück. Das macht Sinn. Kann die Rumpfmuskulatur bei Zügen entstanden Schwung nicht aufnehmen, müssen die Finger härter arbeiten, um uns an der Wand zu halten. Die damit verbundenen Belastungsspitzen sind Gift für die Ringbänder. Als Einsteiger solltest du dich deshalb erst einmal um eine stabile Körpermitte kümmern, bevor du dir um deine Fingerkraft Gedanken machst.