Fingertraining als Klettereinsteiger: Sinnvoll oder gefährlich?

Wie man es dreht und wendet: An einem Thema kommt man als Kletterer früher oder später nicht mehr vorbei. Dann steht die Frage im Raum, ob man genügend Fingerkraft hat, um noch in höhere Grade vorzudringen. Sollte sie tatsächlich hinterherhängen, folgt darauf natürlich die Frage, wie man die Kraft steigern kann. Und ab wann das wirklich sinnvoll und sicher ist. Die Frage nach dem Wie lässt sich leicht beantworten. Als Goldstandard des Fingertrainings hat sich in den letzten Jahrzehnten das Griffbrett – auch als Hangboard bekannt – etabliert. Das Wann ist dagegen etwas komplexer. Denn auch wenn häufig für einen späten Start plädiert wird, gibt es gute Gründe, früh mit dem Hangboarden zu beginnen. Damit das sicher möglich ist, müssen allerdings ein paar Bedingungen erfüllt sein.

Warum kann frühes Fingerkrafttraining am Hangboard sinnvoll sein?

Es gibt mindestens zwei gewichtige Gründe, die für einen frühen Start ins Fingerkrafttraining sprechen. Der erste Punkt betrifft die gezielte Stärkung der Sehnen über dosierte Belastung. Ein großes Problem für Klettereinsteiger ist, dass die Leistungsfähigkeit unserer Finger nicht allein von der Muskulatur abhängt. Entscheidend ist auch, dass die Sehnen, die die Bewegung der Muskeln auf die Fingerknochen übertragen, der Herausforderung gewachsen sind. Diese werden zum Nadelöhr. Denn während die Muskulatur sich sehr schnell an neue Herausforderungen anpasst, brauchen Sehnen und Bänder dafür deutlich länger. Wer zu schnell zu viel will, läuft Gefahr, sich eine Verletzung einzuhandeln, die das Training um Wochen oder sogar Monate zurückwirft.

Solche Verletzungen treten normalerweise plötzlich auf, wenn man sich zu viel zumutet. Zu kleine Griffe, aus denen dynamisch angezogen wird, oder ein plötzlich abrutschender Fuß, wodurch das gesamte Körpergewicht auf einen Schlag an den Fingern hängt, sind Klassiker. Sie können sich aber auch schleichend einstellen. Wer zum Beispiel permanent am eigenen Limit klettert, um den Kraftaufbau zu forcieren, kann die Strukturen mit der Zeit so weit schädigen, dass sie gereizt reagieren oder dem Stress nicht mehr gewachsen sind. Dabei muss es nicht einmal eine bewusste Entscheidung sein, ständig Vollgas zu geben. Die schnellen Erfolge der Anfangszeit sind für viele motivierend genug, um weiterhin möglichst gut vorankommen zu wollen. Dabei ist es völlig normal, immer wieder Boulder zu beackern, die am Limit liegen. So verbessert man sich schnell, hat aber immer auch ein erhöhtes Verletzungsrisiko.

Mehr Kontrolle bringt mehr Sicherheit

Weniger riskant ist es, wenn man den Kraftaufbau in kontrollierbare Gefilde verlegt: an das Hangboard. Hier ist die Belastung der Muskeln und Sehnen gut steuerbar. Du kannst also Übungen und Intensitäten wählen, die genau zu deinem Leistungsstand passen. Anders als an der Wand sind dabei kleinschrittige Korrekturen möglich. Wenn du merkst, dass es etwas leichter oder schwerer sein darf, kannst du andere Griffe wählen oder zur Entlastung die Füße aufstellen beziehungsweise mit Gummibändern arbeiten.

Das gibt deinen Sehnen die Möglichkeit, sich anzupassen, ohne permanent dem Risiko einer Überlastung ausgesetzt zu sein. Die Belastungsspitzen, die beim Bouldern auftreten, sind deutlich höher als das, was am Griffbrett üblich ist. Für Kletterneulinge trifft das sogar doppelt zu. Weil die Kletterbewegungen einerseits anfangs noch etwas ruppig sein können, müssen die Hände oft mehr halten, als eigentlich nötig wäre. Das erhöht die Belastung auf die Finger. Andererseits genügt schon eine moderate Intensität, um beim Training am Hangboard Fortschritte zu machen. Die Kraft wird also trotzdem trainiert, obwohl es die Sehnen schont.

Den natürlichen Leistungsabbau kontern

Der zweite Punkt, der für einen früheren Einstieg ins Hangboarden spricht, ist der Umstand, dass es mit zunehmenden Alter schwerer wird, Kraft aufzubauen. Während das für jugendliche Kletterer noch keine große Rolle spielt, sollten Einsteiger jenseits der 30 diesen Fakt durchaus im Hinterkopf behalten. Der Körper braucht dann einfach mehr Zeit, um sich von Belastung zu erholen und somit auch länger, um das alte Leistungsniveau zu übertreffen. Und weil die Regenerationsgeschwindkeit mit zunehmendem Alter weiter sinkt, ist im Vorteil, wer bereits früher an seiner Basis arbeitet. Denn: Zu erhalten, was einmal da ist, funktioniert deutlich besser, als dieses Fundament zu legen.

Griffbretter wie der Beastmaker 1000 und 2000 bieten verschiedene Griffe mit unterschiedlicher Größe und ermöglichen so ein effektives Training für Kletterer aller Leistungsstände.

Das gilt nicht nur für die Muskulatur, sondern auch für die Sehnen. In deren Fall macht sich der Effekt sogar schon in jüngeren Jahren bemerkbar. Zwar können wir diese auch bis ins hohe Alter stärken. Die Bildung des Sehnenkerns, der besonders wichtig für die Robustheit unserer Sehnen ist, endet im Jugendalter. Danach verringert sich der Aufbau neuen Gewebes deutlich. Wer früher startet, profitiert also auch an dieser Front.

Warum es heißt, man solle warten…

Als Argument gegen einen frühen Einstieg ins Fingerkrafttraining wird häufig genannt, dass die Sehnen sich erst einmal an die Belastung gewöhnen müssen. Und tatsächlich: Wenn das Trainingsprogramm zu anspruchsvoll ist, kann es durch das Hangboarden zu Überlastungen kommen. Das ist aber nur dann ein Problem, wenn für den Trainingsstand ungeeignete Programme absolviert. Profis können als Vorbilder zwar ungemein motivierend sein, ihre Methoden zu kopieren ist trotzdem nicht clever.

Das Problem macht sich aber auch abseits des Griffbretts bemerkbar. Wer mehr Kraft hat, wird diese auch einsetzen und sich an schwereren Bouldern versuchen wollen. Die Züge werden die weiter, die Griffe kleiner, die Belastungsspitzen auf den Sehnen-Band-Apparat größer. Dadurch steigt schließlich das Verletzungsrisiko, denn auch wenn die Muskeln es auf einmal schaffen, sind die Sehnen noch lange nicht bereit. Üblicherweise sagt man, dass sie sich nach ein bis zwei Jahren Klettertraining langsam an die Belastung gewöhnt haben, weshalb man nicht eher mit dem Hangboarden beginnen sollte.

…und warum es trotzdem möglich ist.

Das ist aber eine sehr allgemeine Empfehlung. Wenn du ein paar Bedingungen erfüllst, kannst du auch eher ins Hangboarden starten, ohne die Gesundheit deiner Finger zu riskieren. Die wichtigste Grundvoraussetzung ist eine solide Klettertechnik. Kletterst du sicher und kontrolliert und weißt, wie du deine Füße setzen musst, um stabil zu stehen? Kannst du dynamische Züge präzise ausführen und Schwung kontrolliert auf- und abbauen? Solltest du diese Fragen guten Gewissens mit Ja beantworten können, könnte das Fingertraining eine Option für dich sein.

Du musst dann allerdings auch bereit sein, deinen Sehnen ausreichend Regenerationszeit zu geben und deine Trainingseinheiten entsprechend zu planen. Zwischen einer Einheit am Griffbrett und einer Bouldersession, bei der du an deinem Leistungslimit trainierst, müssen etwa 72 Stunden liegen, in denen du deinen Fingern Ruhe gönnst. Willst du also einen oder zwei Tage nach dem Hangboarden an die Wand gehen, sollte der Schwerpunkt dieser Session weniger physisch sein. Denkbar ist beispielsweise, dass du Technik und Balance trainierst, anstatt im Überhang zu projektieren. Natürlich belastet auch das die Finger und macht so etwas mehr Abstand zwischen zwei harten Trainingstagen nötig.

Um ein paar konkrete Beispiele zu bringen: Wenn du an einem Sonntag deine Fingerboard-Einheit absolvierst, kannst du am Dienstag Technik trainieren und donnerstags an der Wand Gas geben und hast so genug Zeit, dich immer wieder von den jeweiligen Einheiten zu erholen. Planst du nur eine Klettersession in der Mitte der Woche, kannst du am Wochenende bedenkenlos ans Hangboard gehen. Willst du als relativer Einsteiger hingegen drei Mal die Woche klettern, ist Fingertraining eigentlich keine Option mehr. Das Pensum wäre dann auch auch so hoch genug, um Fortschritte abzusichern.

Ist hangboarden für Klettereinsteiger also sinnvoll oder gefährlich?

Das Fazit also? Es ist auch für Einsteiger möglich und sicher am Hangboard zu trainieren, wenn sie technisch fit genug und bereit sind, ihr Training entsprechend anzupassen – und das dann auch durchzuziehen. Alle guten Vorsätze bringen bekanntlich nichts, wenn sie direkt in der ersten „Technikeinheit“ über Bord geworfen werden und doch wieder das Projekt beackert wird. Wer sich da unter Kontrolle hat, kann allerdings stark vom frühen Einstieg ins Fingerkrafttraining profitieren. Nicht nur durch zusätzliche Kraft, sondern auch durch ein später verringertes Verletzungsrisiko.

Wie du das Training konkret gestalten kannst und wie du herausfindest, welche Griffe die richtigen sind, erfährst du in diesem Artikel zum Fingertraining als Einsteiger.

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