Ist es eine gute Idee, über längere Zeit ausschließlich auf vier Quadratmetern für das Klettern zu trainieren? Anfang des Jahres musste ich mich unfreiwillig mit dieser Frage beschäftigen. Aus privaten Gründen war es mir für knapp vier Monate nicht mehr möglich, regelmäßig Kletterhallen zu besuchen. Statt wie gewohnt ein- bis zweimal pro Woche im Boulderbereich unterwegs zu sein, habe ich es maximal einmal im Monat an die große Wand geschafft. Stattdessen stand mehrmals in der Woche Training an der Heimwand auf dem Programm – in der Hoffnung, zumindest halbwegs fit zu bleiben. Am Ende hat mich das Ergebnis dieser Zeit in manchen Aspekten selbst überrascht.
Wie habe ich trainiert?
Der Wegfall der Trainingsoption “Halle” kam für mich überraschend. Allerdings habe ich dank der Corona-Lockdowns schon seit 2021 einen Plan B in der Hinterhand – beziehungsweise meine eigene Spraywall im Wohnzimmer stehen. Ich hatte also ab Tag 1 meines unfreiwilligen Experiments alle Mittel, mein Training fortzusetzen. Weil ich in dieser Zeit wegen meines kleinen Kindes jeden Abend zuhause sein musste, blieb mir nach dem Zubettbringen reichlich Gelegenheit, um zu trainieren. Der Plan war also schnell gefasst: Pro Woche wollte ich drei Klettersessions an der Heimwand und eine Einheit Ergänzungstraining unterbringen.
An der Wand hatte ich vor, montags und freitags schwere Boulder zu projektieren. Der Mittwoch war zwar ebenfalls fürs Klettern reserviert. Um mich nicht zu überlasten, sollten dann aber leichtere Boulder im Fokus stehen. Die Idee war, viele Probleme möglichst technisch sauber zu klettern.
Mein Ergänzungs- und Fingertraining in der Übersicht
Mein Ergänzungstraining hatte ich für den Sonntag eingeplant. Es bestand aus:
- 3 x 8-12 Butterfly an den Ringen
- 2 x 8-12 Facepulls mit dem Theraband
- 2 x 8-12 Hüftheben mit Zusatzgewicht
- 2 x 5 Handstand-Shrugs, später Handstandliegestütze
Im Anschluss an diese Übungen habe ich meine Finger mit Long Duration Hangs (auch Density Hangs genannt) gequält. Dabei hängt man an verhältnismäßig großen Griffen, dafür aber für längere Zeit. Das soll einerseits das Muskelwachstum anregen und andererseits die Sehnen und Bänder fit halten. Zusätzlich wird die Kraftausdauer trainiert, die für längere Boulder wichtig ist, wie man sie an normalen Kletterwänden findet. Die Boulder an meiner Heimwand haben selten mehr als fünf Züge, was zu wenig ist, um die Kraftausdauer zu erhalten.
Das war für mich ein ernstes Problem: Ich wollte auf keinen Fall nach meiner Rückkehr in die Halle feststellen müssen, dass ich zwar Finger aus Stahl habe, aber nach einem halben Boulder dicke Unterarme bekomme. Deswegen schien mir diese Variante der Deadhangs die beste Option. Hier sah das Programm wie folgt aus:
Pro Einheit habe ich drei Sätze Long Duration Hangs gemacht. Ein Satz besteht aus drei Belastungsintervallen und zwei Pauseintervallen. Konkret heißt das: Ich hänge für 30 Sekunden, mache 15 Sekunden Pause, hänge erneut 30 Sekunden, pausiere und hänge noch ein letztes Mal für 30 Sekunden. Zwischen den einzelnen Sätzen habe ich mir drei bis vier Minuten Erholung gegönnt.
Zeitlich war dieses Programm problemlos machbar, weil ich tatsächlich nahezu jeden Abend zur freien Verfügung hatte. Vom Pensum her war es für mich allerdings etwas Neues. In den letzten Jahren habe ich selten mehr als zwei Klettereinheiten und ein Ergänzungstraining in der Woche unterbringen können. Schraubtage, Coachings und Videodrehs haben ein umfangreicheres Training verhindert. Abgesehen vom Schrauben war keine dieser Aufgaben so körperlich fordernd wie ein ausgewachsenes Training. In den ersten zwei Wochen habe ich das gemerkt und war ungewöhnlich platt. Nach dieser Eingewöhnungszeit hat sich die permanente Müdigkeit glücklicherweise gegeben.
Ein Monat mit guten Ergebnissen
Einer der Schlüssel zum Erfolg im Sport ist, regelmäßig zu schauen, ob eine Trainingsmethode so funktioniert, wie man es sich erhofft hat. Dazu hatte ich nach gut einem Monat gleich doppelt Gelegenheit: dank meines Trainingstagebuchs und meines ersten Besuchs in der Kletterhalle.
Der lieferte weitestgehend erwartbare Ergebnisse. Die Spraywall ist als gutes Tool zum Aufbau von Oberkörperkraft bekannt. Entsprechend hatte ich auch das Gefühl, alles festhalten zu können, was mir unter die Finger kam. Gleichzeitig brauchte ich die Kraft aber auch, denn das Bouldern in der Halle fühlte sich ungewohnt an. Wer bereits einmal längere Zeit Abstand vom Klettern nehmen musste, kennt das vermutlich: Man fühlt sich unsicherer, die Bewegungen sind weniger rund und es fehlt der gewohnte Flow. Der eigene Kletterstil wird dadurch ineffizient und Boulder gehen nicht mehr so leicht von der Hand wie sonst. Am Ende ist es aber wie beim Fahrradfahren. Auch wenn das letzte Mal eine Weile her ist, verlernt man es nicht. Es braucht nur etwas Zeit, um wieder hineinzukommen. Für mich war das also kein Grund zur Sorge, zumal ich in dieser Session gleich mehrere Boulder der vorletzten Schwierigkeit im zweiten Versuch klettern konnte. Das wäre auch vor meiner Hallenpause eine Leistung gewesen, nach der ich zufrieden nach Hause hätte gehen können.
…aber auch ersten Problemen
Etwas überraschend fand ich allerdings, dass meine Kraftausdauer trotz des fortgesetzten Trainings etwas gelitten hatte. Zwar nicht so, dass ich Boulder abbrechen musste, angepumpte Arme gehören sonst jedoch nicht zu den Problemen, mit denen ich an der Wand zu kämpfen habe. Für mich war das der erste von drei Gründen, meinen Trainingsplan noch einmal anzupassen. Grund #2 war, dass sich meine Ergebnisse bei den Long Duration Hangs im Laufe dieser vier Wochen kaum verbessert hatten. Als drittes kam dazu, dass meine Boardsession am Freitag regelmäßig weniger produktiv ausfiel als das Training am Montag und Mittwoch.
Deshalb kam mir der Gedanke, mein Heimwandtraining auf zwei Tage in der Woche zu reduzieren und die gestrichene Einheit durch eine weitere Runde Ergänzungstraining mit Long Duration Hangs zu ersetzen. Meine Hoffnung war, mich dadurch besser für das Training an der Wand erholen zu können und gleichzeitig einen zusätzlichen Trainingsreiz für die Kraftausdauer zu setzen. Damit war die Struktur meiner Trainingswoche für die kommenden Monate gesetzt: Sonntag und Mittwoch standen Ergänzungs- und Fingertraining und Montag sowie Freitag bouldern an der Heimwand auf dem Plan.
Monat 2, 3 und 4: Der Plan geht auf – zumindest fast
Im Februar, März und April bin ich diesem Plan ohne große Ausnahmen gefolgt. Zurücknehmen musste ich mich nur, wenn die unausweichliche Erkältung aus dem Kindergarten zugeschlagen hatte. Außerdem stand alle vier Wochen eine Pausewoche auf dem Programm. Pause heißt in dem Fall nicht, dass ich mein Training komplett gestrichen hätte. Mein Ansatz war, das Pensum zu halbieren, um Überlastungen vorzubeugen. Dass diese mir erspart geblieben sind, habe ich sicher auch dieser regelmäßigen Entlastungsphasen zu verdanken. Aber nicht nur deshalb würde ich diese Herangehensweise sofort jedem weiterempfehlen. Das Programm kurzzeitig zurückzufahren, ist nämlich kein Nachteil für die Leistungsentwicklung. Dank der umfassenderen Regeneration kann die Leistungsfähigkeit nach dieser Woche sogar ansteigen. Das war auch bei mir der Fall und ich konnte regelmäßig in den darauffolgenden Tagen neue Bestmarken setzen.
Am 1. April hatte ich meine bis dahin beste Session an der Heimwand. Mit den Bouldern „all filler no killer“ und „Shoulderboulder“ konnte ich die zwei schwersten von mir bisher begangen Linien binnen weniger Minuten wiederholen. Ursprünglich waren beide Langzeitprojekte, die ich vor dem ersten Durchstieg wochenlang beackert hatte.
Generell habe ich über die Zeit deutliche Leistungszuwächse bemerkt – mit einer Ausnahme. Beim Ergänzungstraining ging es von Woche zu Woche spürbar voran und auch die schweren Boulder an meiner Heimwand wurden wieder machbar. Während ich im Januar teilweise noch mit Routen Probleme hatte, die zu meinen besten Zeiten als erweitertes Warm-up durchgingen, konnte ich bis Ende März auch die schwersten Boulder an meiner Wand wiederholen. Den vorläufigen Höhepunkt bildete eine Session Anfang April, in der ich die beiden härtesten Routen am Board direkt nacheinander klettern konnte. Beide habe ich mit 7B bewertet und beide waren Projekte, die ich ursprünglich über mehrere Sessions beackern musste, bevor ich sie abhaken durfte. Sie nun ohne große Schwierigkeiten nacheinander klettern zu können, war natürlich ein irre motivierendes Gefühl.
Das Long Duration Hangs- Paradox
Bei den Long Duration Hangs gab es für mich im Gegensatz dazu nicht viel zu holen – trotz der höheren Trainingsfrequenz. Ich war Ende April genauso wenig in der Lage, drei Sätze vollständig hinter mich zu bringen wie Anfang Januar. Wie gut es lief, hing von der Tagesform ab. Mal musste ich die Leisten ein paar Sekunden vor Ende des zweiten Satzes loslassen, mal habe ich ihn komplett geschafft. Spätestens im dritten Satz war immer vorzeitig Sendepause – ohne dass sich hier ein wirklich positiver Trend hätte ablesen lassen. Eigentlich ein Grund, sich von der Übung zu verabschieden.
Andererseits haben sich meine Finger über den Zeitraum zunehmend gesünder angefühlt, obwohl ich ständig nur an kleingriffigen, fingerlastigen Bouldern unterwegs war. Und die Leistungssteigerung an der Wand allein mit dem Boardtraining zu erklären, fällt mir schwer. Unter Corona habe ich bereits mehrere Monate ausschließlich an der Heimwand trainiert, ohne mich ähnlich schnell zu steigern. Zusätzliches Fingertraining habe ich damals nicht gemacht. Das deutet zumindest an, dass die Long Duration Hangs eine Rolle spielen, auch wenn ich mich bei der Übung selbst kaum verbessern konnte. Deshalb ist sie auch jetzt noch Teil meines Programms.
Heimwand und Halle sind verschieden Paar Schuhe
Bei meinen beiden Hallenbesuchen im März und April zeigten sich dann aber nochmal ganz andere Probleme. In diesen Sessions bin ich mehrmals beim Doppeln des Top-Griffs von Bouldern abgetropft. Selbst in kurzen, kräftigen Problemen waren die Arme schnell dicht. Damit haben die Long Duration Hangs ein zweites Mal nicht leisten können, was ich mir eigentlich von ihnen erhofft hatte. Allerdings habe ich vermutlich mehr erwartet, als die Übung überhaupt leisten kann.
Sicher ist: Die Kraftausdauerleistung meiner Finger hat sich dank der Long Duration Hangs über die Zeit nicht verschlechtert. Das zeigen die Ergebnisse der einzelnen Sessions. Was gelitten hat, war meine Bewegungsqualität. Und das hat sich im März und April noch stärker bemerkbar gemacht. Ich war im Grunde in allen Arten von Bouldern aus der Form, die keinen Boardcharakter hatten. Ganz besonders natürlich Platten und Koordinationsdynos, die schon vorher nicht zu meinen Stärken gezählt haben.
Und hier liegt der Hase im Pfeffer: Schlechtere Technik heißt ineffizienteres Klettern, daraus folgt mehr Kraftbedarf und schnellere Ermüdung. Um das zu kompensieren, reicht es irgendwann nicht mehr aus, nur die Finger zu trainieren. Leisten die anderen beim Klettern geforderten Muskeln nach ein paar Zügen immer weniger Unterstützung, sind die Unterarme schneller platt, auch wenn sie so fit sind wie eh und je.
Deshalb habe ich Ende März eine letzte Änderung an meinem Plan vorgenommen. In meiner Freitagssession habe ich mich ab diesem Zeitpunkt auf leichtere Boulder konzentriert, diese aber immer zwei Mal am Stück geklettert. Statt vier bis sechs Züge musste ich so wieder acht bis zwölf Züge schaffen, was näher am Hallenbouldern liegt. Das schien mir die beste Möglichkeit, meinen Körper erneut auf längere Belastungen einzustellen, nicht nur die Finger. An meinen technischen Defiziten konnte das natürlich nichts ändern.
Vier Wochen später
Mittlerweile hat sich mein Alltag weitestgehend normalisiert. Hallenbesuche sind wieder möglich und ich glaube, abschätzen zu können, wie sich die vergangenen Monate auf mein Klettern ausgewirkt haben. In den ersten Wochen war das Ergebnis durchwachsen. Ich hatte nach wie vor mit schwächelnder Kraftausdauer und Technik zu kämpfen. Das Gute ist: Beides ist nur eine Frage der Regelmäßigkeit. Kraftausdauer aufzubauen, dauert nur ein paar Tage. Mittlerweile fühle ich mich deshalb in den meisten Bouldern wohl und habe das Gefühl, mich wieder sauberer zu bewegen. Dass meine Unterarme streiken, kommt nur noch in für mich wirklich schweren Bouldern vor.
Und an diesem Punkt deutet sich eine größere Entwicklung an. Denn was wirklich schwer für mich ist, scheint sich verändert zu haben. Zuletzt ist es mir gelungen, die meisten in meiner Heimathalle mit dem 7. von acht Schwierigkeitsgraden bewerteten Boulder zu flashen oder innerhalb von zwei oder drei Versuchen zu klettern. Diese Boulder bewegen sich üblicherweise im 7A-Bereich. On top konnte ich ein Problem knacken, das sich selbst für meine Kletterkollegen als Projekt für mehrere Sessions entpuppt hat. Bisher war es normalerweise so, dass ich in Bouldern keine ernsthafte Chance hatte, wenn sie für diese Jungs herausfordernd waren.
Gleichzeitig sind die Sessions an der Heimwand unerwartet produktiv geworden. Dass ich an einem Trainingsabend mehrere Boulder im Bereich 7A wiederhole, ist keine Ausnahme mehr. Selbst ein Projekt, das ich im Grunde Anfang 2022 aufgegeben habe, scheint jetzt in greifbare Nähe gerückt zu sein. Damals konnte ich es auf 25 Grad Neigung klettern. Mein eigentliches Ziel, es auf 30 Grad zu wiederholen, scheiterte aber schon daran, dass ich meinen Hintern nicht vom Boden hoch bekommen habe. In meiner letzten Session konnte ich jetzt zumindest alle Einzelzüge klettern – inklusive des Starts in einer mir bisher unmöglichen Variante. Mitte Februar war ich an der Wiederholung auf 25 Grad gescheitert. Anfang Juni ist sie mir im ersten Versuch geglückt. Es deutet also einiges darauf hin, dass die vier Monate Arbeit keineswegs umsonst waren.
Was kannst du für dein Training mitnehmen?
Alles in allem bin ich damit zufrieden, wie ich die Zeit ohne Hallenbesuche nutzen konnte. Die offensichtlichen Nachteile in Sachen Technik und Kraftausdauer lassen sich zum Glück schnell ausgleichen. Auf der Haben-Seite steht, dass ich (vermutlich) einiges an Kraft dazugewonnen konnte. Im besten Fall könnten die letzten vier Monate einen großen positiven Einfluss auf mein Klettern haben. Deshalb versuche ich aktuell, den Plan weiter zu verfolgen, so gut es geht. Zumindest möchte ich mein Trainingspensum erst einmal nicht verändern. Allerdings werde ich im besten Fall eine Klettereinheit in der Woche von der Heimwand in die Halle verlegen. Fokus wird dort sein, technische Schwächen auszubügeln und Kletterstile zu trainieren, die zu Hause einfach nicht vertreten sind.
Genau diesen Ansatz würde ich auch dir empfehlen, wenn du darüber nachdenkst, die Spraywall in deinen Trainingsalltag zu integrieren. Über längere Zeit an so einer Wand zu trainieren, kann dich in puncto Kraft und zum Teil auch in Sachen Technik massiv voranbringen. Das komplette Klettertraining an die Spraywall zu verlegen, halte ich aber nach meinen Erfahrungen für keine gute Idee. Abwechslung ist wichtig. Davon bieten die meisten Spraywalls nicht genug. Und was bringt es, die stärksten Finger zu haben, wenn man die ganze zusätzliche Kraft nicht effektiv an die Wand bringen kann?
In jedem Fall muss dein Spraywall-Training aber auf deine persönlichen Stärken und Schwächen ausgerichtet sein. Wie du es am effektivsten für dich nutzt, habe ich in meinem Spraywall-Trainingsguide erklärt.