Stärker und besser klettern mit der Spraywall

Für Kletterprofis gibt es in den meisten Kletterhallen wenig zu holen. Wollen sie ein gutes Training absolvieren, brauchen vor allem Wettkampfathleten Routen in einer Schwierigkeit und einem Stil, der normale Kunden abschrecken würde. Die allerdings sichern das Überleben der Hallen. Weil spezialisierte Trainingseinrichtungen rar sind, müssen die Pros kreativ werden und andere Wege finden. Viele von ihnen verbringen deshalb einen großen Teil ihrer Kletterzeit an der Spraywall, weil sie enorme Freiheit bietet. Aber: Die Spraywall ist längst nicht nur für Spitzensportler interessant. Auch für ambitionierte Hobbykletterer ist eine Spraywall eines der besten Tools, um in Sachen Kraft und Technik ein neues Niveau zu erreichen.

Die Spraywall ermöglicht, was kommerzieller Routenbau nicht bieten kann

Dass moderner Routenbau starke Kletterer hervorbringt, lässt sich kaum leugnen. Der Leistungsstand passionierter Hallengänger liegt heute auf einem Niveau, das vor ein paar Jahrzehnten noch den weltbesten Kletterern vorbehalten war. Vielseitiges, abwechslungsreiches und vor allem regelmäßiges Training, das nicht von den Witterungsbedingungen abhängig ist, macht es möglich. Aber: So gut die Hallen als Trainingsstätten sind, geht es um die Arbeit an individuellen Stärken und Schwächen, sind ihre Besucher der “Willkür” der Routenbauer ausgesetzt. Wird ein bestimmter Stil nicht berücksichtigt oder nur auf einem Niveau geboten, das über oder unter dem eigenen Können liegt, ist es schwierig, sich in diesem Punkt weiterzuentwickeln. Findet man keine anderen Wege, die eigenen Schwachstellen zu bearbeiten, sitzt man irgendwann unweigerlich auf einem Leistungsplateau fest. Der Besuch der Spraywall kann die Lösung des Problems sein – oder dafür sorgen, dass es gar nicht erst auftritt.

 

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Aiden Roberts gehört zu den stärksten Boulderern der Welt. Das Training an der Heimwand ist fester Bestandteil seiner Trainingswoche. Dass sich das auszahlt, hat er spätestens mit der Wiederholung von Alphane (9A) bewiesen.

Spraywalls gibt es mittlerweile in vielen Kletterhallen. Dabei handelt es sich um ein Wandsegment, das eng mit Griffen bestückt ist. Im besten Fall bietet es, was das Arsenal hergibt: von winzigen Leisten bis zum Monstersloper aus GFK. Vom Routenbauteam gesetzte Boulder findest du hier in den meisten Fällen nicht. An diesen Wänden sollen die Nutzer ihre Kreativität ausleben. Denn die Spraywall bietet Raum für Boulder, die an den kommerziellen Wänden keinen Platz haben: Sei es, weil sie für die Allgemeinheit zu schwer sind oder weil ihr Stil keinen Anklang finden würde. Dadurch bekommst du die Möglichkeit, Probleme zu kreieren, die auf deine Trainingsbedürfnisse abgestimmt sind und so dein Kletterniveau weiter anzuheben.

Wege zu den eigenen Bouldern

An der Spraywall bist du dein eigener Meister. Um effektiv trainieren zu können, musst du lediglich wissen, was du brauchst. Möchtest du zum Beispiel mit einer bestimmten Griffart besser zurechtkommen, dann definierst du dir Boulder, die vor allem aus solchen Griffen bestehen. Willst du deine Körperspannung auf Vordermann bringen, bevorzugst du kleine Tritte. Geht es dir um dynamische Kletterei, sind weite Züge deine Freunde.

Hast du kein festes Trainingsziel, kann der Gang zur Spraywall trotzdem sinnvoll sein. Das Training an Boards ist ein hervorragendes Mittel, um körperlich fitter zu werden und gleichzeitig neue Skills zu lernen. Es gibt dir außerdem die Möglichkeit, deine Fortschritte auf eine Art nachzuvollziehen, wie man sie normalerweise nur am Fels hat. Weil Spraywalls in der Regel erst nach Monaten oder Jahren umgeschraubt werden, kannst du dich immer wieder an den gleichen Bouldern versuchen und langfristige Projekte verfolgen. Geht dir nach mehrmonatigem Training ein ehemaliges Projekt plötzlich leicht von der Hand, ist das ein untrügliches Zeichen, dass deine Arbeit Früchte getragen hat.

Apps wie Retro Flash machen es einfach, sich Boulder und Projekte zu merken. Einmal in der App gespeichert, können sie auch mit anderen geteilt werden.

Solche Projektboulder können durch das Prinzip Zufall entstehen. Siehst du zum Beispiel eine spannende Griffkombination, kannst du einen Boulder drumherum entwickeln. Sie können aber auch auf andere Setter zurückgehen. Es ist zum Beispiel eine gute Idee, einen Freund zu bitten, Boulder in deinem Antistil zu definieren. Es gibt aber noch einen Weg: In vielen Fällen sind die Spraywalls der Hallen heute mit einer App verknüpft, in der Nutzer ihre Kreationen speichern und teilen können. Nutzt du diese, kannst du einerseits Teil einer Community werden und findest andererseits Boulder, ohne selbst kreativ werden zu müssen. Für den Einsteig ist das besonders praktisch.

Einen Tipp solltest du beim Definieren der Boulder in jedem Fall beherzigen: Es mag okay sein, wenn deine ersten Eigenkreationen ”an der Wand” entstehen: du also Züge kletterst und sie anschließend in der App speicherst. Auf Dauer neigst du dabei allerdings dazu, Bewegungen zu machen, die sich für dich natürlich anfühlen, weil sie dir liegen. Das macht das Training weniger effizient. Der Großteil deiner Boulder sollte also auf der Matte entstehen und erst dann getestet und angepasst werden. So erschaffst du häufiger interessante Boulder, die frische Herausforderungen liefern.

Effektiv, aber kein Allheilmittel

Eine gute Spraywall lässt dir viele Freiheiten und bietet so Möglichkeiten, dich vielseitig zu entwickeln. Aber auch die beste Spraywall kann nicht alles abdecken. Hier deine gesamte Trainingszeit zu verbringen, ist deshalb keine gute Idee. Dafür ist das Boarden im wahrsten Sinne des Wortes zu eindimensional. Weil normalerweise an einer (stark) überhängenden Wand geklettert wird, ist eine Reihe von Klettertechniken überhaupt nicht gefragt. Das Offensichtlichste: Balance wie auf der Platte? Stemmen wie in der Verschneidung? Manteln wie am Block? All das spielt hier keine Rolle. Wer zu viel Zeit in das Boardtraining investiert, riskiert also, diese Fähigkeiten zu verlieren oder nicht ausreichend zu entwickeln, um sie effizient zu nutzen.

Trotzdem ist die Spraywall in den Augen vieler starker Kletterer das vielleicht beste Trainingstool. Kletterlegende Adam Ondra verbringt zum Beispiel den größten Teil seiner Trainingszeit an einer dicht mit Griffen bepflasterten Wand. Allerdings macht er eine klare Unterscheidung zwischen abwechslungsreichen Spraywalls und Boards wie dem Moon- oder Kilterboard, also solchen, bei denen kleine Griffe und Tritte dominieren. Denn hier wird die physische Seite des Trainings betont, was dich zu einem stärkeren, aber nicht unbedingt besseren Kletterer macht. Kann man nur an Spraywalls dieses Charakters klettern, ist zusätzliches Training an anderen Wänden wichtig, um technisch nicht zu verkümmern.

Wie viel Zeit du an einer Spraywall verbringen kannst und solltest, hängt einerseits von der Wand, die du nutzen kannst, und andererseits von deinem Zeitpensum ab. Ich persönlich hatte meinen bisher besten Klettertage, nachdem ich es über einige Monate geschafft habe, jeweils einmal in der Woche in der Halle und an meiner Heimwand zu trainieren. Letztere gehört eher zur Kategorie Moonboard und hat mich deshalb körperlich fit gemacht, während ich in der Halle an meiner Technik feilen konnte. Diese Kombination hat sich vor allem am Fels positiv bemerkbar gemacht. Im anschließenden Bleau-Urlaub konnte ich 7B+ und 7C punkten, obwohl ich ein halbes Jahr zuvor selbst an 7A zu knabbern hatte. Großen Anteil an diesem Erfolg hatte aber auch, dass ich mein Training nach dem früheren Trip angepasst hatte. Denn schon da wäre mehr drin gewesen, hätte ich meine Trainingszeit insbesondere an der Heimwand nicht zu einseitig gestaltet.

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