Über Platten lässt sich wunderbar streiten. Zum Beispiel über die Frage, ob es Platten überhaupt braucht oder ob der Klettersport nicht hevorragend ohne auskommen würde. Denn eines ist klar: Für manche Leute ist die Kletterei an liegenden Wänden ein absoluter Graus, während es andere einfach lieben, auf abschüssigen Volumen Balance-Boulder hochzuschleichen oder sich an Mikroleisten auf winzige Tritte zu ziehen. Diese Vorliebe hat nur bedingt damit zu tun, dass diese Leute Nerven aus Stahl besitzen und deshalb völlig schmerzfrei sind. Vielmehr haben sie gelernt, was es braucht, um an der Platte sicher nach oben zu kommen – und was man lieber sein lassen sollte. Tatsächlich bin ich selbst jemand, der Platten erst mit den Jahren zu schätzen gelernt hat. Aber genau deshalb denke ich, dass eigentlich jeder diesen Kletterstil erlernen kann. Oft reicht es schon, Kleinigkeiten zu ändern, um direkt deutlich sicherer unterwegs zu sein.
Eine Beobachtung habe ich in den letzten Jahren immer wieder gemacht: Kletterer, die bereits mit einer guten Physis in den Sport starten, tun sich mit Platten schwerer als ihre etwas weniger fitten Kollegen. Oft ändert sich das über die ersten Monate und manchmal sogar Jahre nicht. Gerade am Anfang neigt man dazu, sich Boulder zu suchen, die den eigenen Stärken entsprechen. Wer viel Kraft hat, kommt dadurch oft im Überhang wunderbar zurecht und feiert hier schnelle Erfolge. Es gibt also keinen Grund, sich an „gruseligen“ Platten zu versuchen. Wer an sehr kräftigen Routen das Nachsehen hat, wird sich wiederum eher an der Platte austoben, weil Kraft hier weniger wichtig als Technik ist. Hat man die einmal drauf, macht auch das diffizile Geschleiche Spaß. Diese Vorlieben verfestigen sich mit der Zeit und sorgen manchmal dafür, dass die jeweilig andere Disziplin kaum noch auf dem Plan steht – mit dem Effekt, dass man deutlich schlechter abliefert, wenn man doch einmal die Komfortzone verlässt.
Durchpowern ist keine Lösung
Die Art, an der Platte zu klettern, unterscheidet sich deutlich von der im Überhang. Letztere lebt oft davon, die Spannung im Körper hoch zu halten, Züge mit Schwung zu absolvieren und viel Kraft aus dem Oberkörper zu holen. An der Platte funktioniert diese Herangehensweise schlecht, trotzdem wird sie zum Teil eins zu eins übertragen. Das zeigt sich in einer Art zu klettern, die sich am besten als Stakkato-Stil bezeichnen lässt. Die Bewegungen sind abgehackt, hektisch und lassen gelegentlich auch in puncto Präzision zu wünschen übrig. In der Körpermitte passiert sehr wenig, die Hauptarbeit übernimmt der Oberkörper.
All das sind typische Anzeichen dafür, dass man sich auf der Platte alles andere als wohl fühlt. Denn eigentlich lebt die Plattenkletterei von ruhigen Bewegungen, bei denen der Körperschwerpunkt immer wieder so verlagert wird, dass sich zwischen den Zügen stabile Positionen ergeben und das Körpergewicht hauptsächlich von den Füßen getragen wird. Die Hände stabilisieren nur und sorgen dafür, dass man nicht aus der Wand kippt.
Wie gut das klappt, hängt stark vom Trittvertrauen ab. Hast du auf der Platte das Gefühl, mit den Füßen sicheren Halt zu haben, fällt es leichter, Beine und Hüfte die Arbeit machen zu lassen. Fehlt diese Sicherheit, neigt man dazu, mehr mit dem Oberkörper zu arbeiten. Im ungünstigsten Fall zieht man sogar so stark an den Griffen, dass die Füße entlastet werden. Gerade beim Klettern auf Volumen und abschüssigen Tritten kann das einen unerwarteten Nebeneffekt haben: Nimmst du zu viel Druck von den Füßen, rutschen sie einfach ab. Ist das erst einmal passiert, sorgt es nicht gerade für mehr Vertrauen in diese Art von Tritten.
Sicherer stehen durch besseres Antreten
Vertrauen in kleine oder abschüssige Tritte zu erlangen, ist zum Teil Erfahrungssache, also etwas, was sich nicht von jetzt auf gleich gewinnen lässt. Was jedoch ebenfalls dazu beiträgt und sofort geändert werden kann, ist die Art, wie du deine Füße setzt. Nur wer ruhig und kontrolliert antritt und die Tritte anschließend bewusst belastet, kann das Beste aus ihnen herausholen. Ob du auf der Platte ruhig klettern kannst, ist wiederum zu einem guten Teil Kopfsache.
Die Angst auf der Platte kontrollieren
Arbeite ich mit Kletterern, denen ihr Kopf in die Quere kommt, ist mein erster Tipp normalerweise, sich auf die Atmung zu konzentrieren. Diese hat direkten Einfluss darauf, wie ruhig wir sind. So wie Unsicherheit zu einer schnellen, flachen Atmung führt, hilft eine tiefe, ruhige Atmung, den Kopf zu entspannen. Als zweiten Angstkonter empfehle ich, sich die Beta des Boulders als eine Reihe von Handlungsanweisungen zurecht zu legen und diese während des Kletterns durchzugehen. Dabei darf der Plan durchaus feingliedriger als „linke Hand nach da, rechter Fuß nach dort“ sein. Wenn es beispielsweise um das Antreten eines kleinen Trittes geht, könnten die Schritte wie folgt aussehen: Hüfte verlagern – Gewicht auf das Standbein bringen – Fuß mit der großen Zehe aufsetzen – Druck aufbauen – Gewicht auf den neuen Tritt verlagern. Diese Schritte kann man laut aussprechen oder im Kopf abarbeiten. In beiden Fällen hilft es, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, und verhindert so, dass die Gedanken sich selbstständig machen.
Was heißt richtiges Antreten?
Wie der Fuß auf dem Tritt positioniert sein muss, damit die Beine ihren Job tun können, hängt vom Charakter des Boulders und des jeweiligen Zugs ab. Am einfachsten ist es bei klassischen Plattenbouldern mit kleinen Griffen und noch kleineren Tritten. Dann sollte der Fuß in den meisten Fällen mit der Spitze aufgestellt werden. Ob seitlich oder frontal hängt davon ab, was danach folgt. Musst du zum Beispiel vor dem Fuß durchtreten, um zum nächsten Tritt zu kommen, brauchst du dafür Platz und stehst eher frontal. Ist das nicht nötig, kannst du auch seitlich antreten, was oft etwas weniger anstrengend ist.
Komplizierter wird es bei Volumenbouldern, weil es hier mehr Spielraum für das Setzen der Füße gibt. Wo sie stehen müssen, hängt davon ab, was abgefordert wird. Hat man keine vernünftigen Griffe in der Hand und muss deshalb auf den Volumen balancieren, ist es das Beste, die Füße möglichst weit weg von der Wand zu platzieren. Stehst du am Rand des Volumens, ist es leichter, den Körperschwerpunkt über die Füße zu bringen und so die Hände zu entlasten. Außerdem drängt dich die Wand weniger stark ab. Ist die Trittfläche abschüssig, macht es außerdem Sinn, die Fersen von der Wand wegzurotieren und abzusenken. Das vergrößert die Kontaktfläche zwischen Tritt und Volumen und optimiert die Belastungsrichtung.
Beides muss aber nicht immer der Fall sein. Hast du einen passablen Griff in der Hand, musst für einen Zug etwas höher antreten und dich anschließend mit der Kraft deines Oberkörpers auf das Volumen schieben, kann es leichter sein, das Volumen wie einen normalen Tritt zu nutzen – inklusive des seitlichen Aufstellen des Fußes mit neutraler Sprunggelenksposition. Gelegentlich kann es bei solchen Zügen sogar helfen, nah an der Wand zu stehen. Bist du dir unsicher, welche Herangehensweise die richtige ist, teste verschiedene Fuß- und Sprungelenkspositionen aus.
Hochtänzeln und -schieben statt hochzerren
Wo präzise getreten werden muss, braucht es einen kontrollierten Bewegungsstil. Auf der Platte ist es generell eine gute Idee, ruhige Bewegungen zu machen und auf Hüfteinsatz zu bauen. Sei es beim Verlagern des Körperschwerpunkts über das Standbein oder beim Aufbau von Schwung für dynamische Bewegungen – die Hüfte sollte die Bewegung führen. Dynamik ist natürlich erlaubt, denn kontrolliertes Klettern bedeutet nicht automatisch statisches Klettern. Auch schnelle Züge sind möglich und manchmal nötig. Diese dürfen aber nicht ruckartig passieren, sondern sollten einen gewissen Flow haben.
Das Klettern auf der Platte erlaubt es außerdem, bei der Verwendung der Griffe kreativ zu werden. Wo im Überhang in erster Linie gezogen wird, sind viele Platten leichter, wenn du dich nicht nur an Griffen nach oben ziehst, sondern diese auch stützt, um dich in die gewünschte Richtung zu schieben. Für mich war die Erkenntnis, dass man den Daumen wunderbar zum Wegdrücken selbst kleinster Griffe nutzen kann, ein riesiges Aha-Erlebnis. Zum Teil bekommen so auch Griffe, an denen man sich vorher in eine Position gezogen hat, eine Zweitverwertung, die nicht immer offensichtlich ist.
Ähnlich sieht es bei der goldenen Regel des Plattenkletterns aus: nämlich in kleinen Schritten die Wand hochzulaufen. Das ist in der Halle zwar nur bedingt möglich, weil die Tritte vorgegeben sind. Grundsätzlich ist es aber besser, keine sinnvoll nutzbare Trittmöglichkeit auszulassen, um immer problemlos aus den Beinen klettern zu können. Denn je höher du antrittst, desto mehr musst du aus dem Oberkörper arbeiten, um auf den Tritt zu kommen. Am Fels werden deshalb oft auch kleinste Tritte mitgenommen, um die Wand hochzulaufen. In der Halle ist das zumindest auf Volumen ebenfalls möglich.
Der Elefant im Raum
Natürlich müssen wir an dieser Stelle noch über den Elefanten im Raum sprechen: das Schuhwerk. Wenn man alles wegstehen muss, haben die Treter an den Füßen natürlich riesigen Einfluss auf die Performance. Eines muss klar sein – die Mehrzahl der Schuhe, die man in den Hallen ausleihen kann, taugt da kaum. Das liegt weniger daran, dass sie oft zu groß sind. Problematisch ist vielmehr, dass die Gummimischung bei Leihschuhen normalerweise härter ausfällt und weniger Halt bietet. Bei manchen Modellen kann man deshalb buchstäblich zuschauen, wie die Füße abrutschen, wenn ihr Träger gerade auf Volumen unterwegs ist.
Bei kleinen Tritten sieht es nicht viel besser aus. Um trotz der schwachen Fußtechnik vieler Klettereinsteiger lange zu halten, haben Leihschuhe meistens eine dickere Sohle. Außerdem ist ihre Form eher auf Bequemlichkeit als auf Performance ausgelegt. Deshalb bieten sie weder optimale Unterstützung noch ein gutes Trittgefühl, was eine Grundvoraussetzung ist, um sicher auf kleinen Tritten stehen zu können.
Ein eigenes Paar Schuhe ist also Pflicht. Hier wird es aber wieder kompliziert, denn den perfekten Plattenschuh gibt es nicht. Macht sich auf kleinen Tritten ein steifer Schuh gut, weil er mehr Unterstützung bietet, ist auf Volumen eine weiche Sohle die bessere Wahl. Manche Plattenfans haben deshalb einfach zwei Paar für die verschiedenen Einsatzzwecke. Ob man so weit gehen möchte, ist eine Frage der Motivation und des Geldes. Ich persönlich habe mich bei meinem Modell für den Mittelweg entschieden und komme so zumindest mit den meisten Platten zurecht. Werden die Tritte sehr klein oder die Volumen stark abschüssig, haben andere Kletterer manchmal bessere Karten.
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