Leistungsplateaus beim Klettern: Ursachen und Gegenmaßnahmen erklärt

Auch wenn viele erfahrene Boulderer den Bewertungen von Bouldern aus gutem Grund keinen allzu hohen Stellenwert einräumen, lässt sich nicht von der Hand weisen, dass Grade ein motivierender Faktor sind. Sie vermitteln ein Gefühl von greifbarer Progression. Das nächsthöhere Level geknackt zu haben, macht stolz und gibt Antrieb, sich das nächste Projekt zu suchen. Gleichzeitig haben sie dadurch aber auch das Potenzial für Unmut zu sorgen. Schließlich erreicht jeder irgendwann den Punkt, an dem es nur noch langsam oder gar nicht mehr weiterzugehen scheint. Sich damit anzufreunden, kann herausfordernd sein. Stagnation muss aber kein Dauerzustand sein. Normalerweise gibt es Wege, wie du dieser begegnen und ein Leistungsplateau schnell überwinden kannst.

Phasen, in denen es kaum noch voran geht, sind im Sport etwas völlig Normales. Gründe dafür gibt es viele. Dass du zum Beispiel Phasen von Stress und wenig Schlaf Gift für die Leistung sind, ist keine große Neuigkeit. Oft ist man sich dessen nicht einmal bewusst, weil man sich körperlich trotzdem fit fühlt und den Einfluss der mentalen Erschöpfung unterschätzt.Wenn du trotz regelmäßigen Trainings über mehrere Wochen keinerlei Fortschritte erzielst, ist das deshalb noch kein Grund zur Sorge. Zieht sich die Stagnation aber über längere Zeit, eventuell sogar mehrere Monate hin, wird es mit kritischem Blick auf das Training zu schauen und über Veränderungen nachzudenken.

Warum die Entwicklung sich verlangsamt

Um zu wissen, was genau man unter die Lupe nehmen muss, musst du verstehen, worauf es im Training überhaupt ankommt. Im Grunde kannst du es dir wie das Essen eines Eintopfs vorstellen. Dabei stellen der Topf dein Leistungspotenzial und dessen Inhalt die möglichen Verbesserungen dar, die du abschöpfst. Die Kelle, mit der du das machst, ist dein Trainingsprogramm. Wenn der Topf am Anfang noch voll ist, hast du keine Probleme, etwas herauszuholen. Du nimmst die Kelle und holst jedes Mal eine große Portion Verbesserungen heraus. Das ist in den ersten Monaten, manchmal sogar mehrere Jahre so.

Weil sich der Topf langsam leert, ändert sich das aber mit der Zeit. Es wird schwieriger, mit der großen Kelle etwas herauszuholen. Du tauchst sie ein, aber sie kommt nur noch halb gefüllt heraus. Um die gleiche Menge Leistungsverbesserung abzuschöpfen, musst du die Kelle immer häufiger eintauchen. Und irgendwann kommt der Punkt, an dem du mit einer Kelle kaum noch etwas aus dem Topf holen kannst. Das Problem ist dann aber nicht, dass dein Leistungspotenzial ausgeschöpft wäre, du kommst nur nicht mehr so gut heran. Was also tun?

Viel hilft manchmal doch viel

Eine Möglichkeit habe ich bereits angedeutet. Um den gleichen Trainingseffekt zu erzielen, kannst du deine Trainingsfrequenz erhöhen. Das funktioniert dann gut, wenn du bisher nur relativ selten zum Klettern gegangen bist. Viele Einsteiger klettern in der Anfangszeit nur einmal in der Woche – oder sogar seltener. Das Pensum dann auf ein- oder zweimal wöchentlich zu erhöhen, kann bereits einen ziemlichen Unterschied machen. Gehörst du zu dieser Gruppe und hast du Möglichkeit, wäre das die erste Maßnahme. Klar muss aber sein, dass auch das nur bis zu einem gewissen Punkt funktioniert. Wenn du zum Beispiel bereits drei Mal in der Woche klettern gehst, ist nicht gesagt, dass du von einem vierten oder fünften Mal noch profitierst. Erholst du dich nicht ausreichend zwischen den Einheiten, kannst du durch das viele Training sogar Leistung abbauen und Gefahr laufen, dich zu verletzen.

Sport lässt sich mit dem Essen einer Suppe vergleichen. Dabei stellt der Suppentopf das genetische Potenzial dar, während die Suppe (die Verbesserungen) mit der Kelle (dem Training) abgeschöpft werden.

Was aber tun, wenn es nicht mehr hilft, die große Kelle häufiger zu schwingen, um noch Potenzial abzuschöpfen? Dann braucht es einfach ein anderes Werkzeug. In der Küche würdest du eine kleinere Kelle oder einen Löffel nehmen, um den Topf weiter zu leeren. Beim Sport sieht es im Prinzip genauso aus. Ist die große Kelle ein Training nach dem Motto „einfach klettern gehen“, bei dem du alles abschöpfst, was in deiner Suppe herumschwimmt, geht es mit dem Löffel etwas präziser zu. Du kommst nicht nur besser an das, was im Topf noch übrig ist. Du kannst dir auch einzelne Zutaten herauspicken.

Auch hier gleichen sich Suppe und Klettern. Dein Kletterstil ist eine Kombination aus verschiedenen Elementen, also deinen Techniken, aber auch deiner psychischen und körperlichen Stärke. Am Anfang trainierst du all diese Faktoren, in dem „nur“ kletterst. Wir Menschen haben allerdings die Tendenz, immer mehr von den Dingen zu tun, die wir bereits etwas besser beherrschen. Schließlich liegt uns das und verspricht schnellere Erfolge. Mit der Zeit entwickeln sich dadurch Stärken und relative Schwächen. Beginnst du nun, Schwerpunkte in deinem Training zu setzen, die diese Schwachstellen angreifen, geht die Entwicklung sehr wahrscheinlich wieder voran.

Den Löffel richtig einsetzen

Die Frage ist dann natürlich, auf was. Die meisten Kletterer haben den Eindruck, dass es ihnen an Kraft fehlt. Das kann ein Punkt sein, muss es aber nicht. Genauso gut können es Lücken in deiner Technik sein, die dich zurückhalten. Vielleicht ist aber auch deine Taktik noch nicht optimal. Schaust du dir die Routen richtig an oder gehst du ohne Plan an die Wand? Musst du beim Klettern häufiger pausieren, um den richtigen Weg zu finden? Und vergisst du häufiger, wie Züge funktionieren, die du schon gemacht hast?

All das sorgt dafür, dass du mehr Zeit in der Route brauchst, um sie zu klettern. Geht dir dabei vorzeitig der Saft aus, wirkt es, als fehle dir die Kraft, obwohl schlechte Vorbereitung die Ursache war. Natürlich kann es auch deine Psyche sein, der dir einen Strich durch die Rechnung macht. Lange zu zögern oder Züge nur halbherzig anzugehen, sorgt dafür, dass du dein eigentliches Können nicht nutzen kannst.

Leider lässt sich nicht pauschal sagen, an was du arbeiten solltest, weil diese Schwachstellen eine völlig individuelle Angelegenheit sind. Was für den einen großartige Ergebnisse liefert, ist für den anderen im schlechtesten Fall Zeitverschwendung. Das Beste ist deshalb, deinen Kletterstil mit besseren oder ähnlich guten Kletterern zu vergleichen und eine ehrliche Bestandsaufnahme zu versuchen. Wo scheiterst du, wo andere, die in etwa in deiner Liga spielen, weiterkommen? Hier einige Fragen, die du dir stellen solltest: Stehst du wirklich sicher auf deinen Füßen? Hängst du häufig an gebeugten Armen? Wirken deine Bewegungen kontrolliert und mühelos? Zögerst du lange, bevor du einen Zug machst – selbst dann, wenn du ihn vorher schon einmal gelöst hast?

Im Grunde geht es darum, danach zu schauen, welche Zutaten auf deinem Teller noch fehlen . Und genau nach diesen Dingen fischt du dann mit deinem Löffel. Sprich: Die legst einen oder zwei Schwerpunkte fest, an denen du arbeiten willst und arbeitest in den kommenden Wochen und Monate daran, in diesen Bereichen aufzuholen.

Zu früh, zu speziell

Als passionierter Überhangkletterer habe ich jahrelang einen Bogen um schwere Platten gemacht. Mittlerweile locken mich harte Balanceprobleme manchmal mehr als physisches Gepumpe im Dach. Nicht weil sie mir leichter fallen, sondern weil ich der Herausforderung schätze und an der Platte eine Menge gelernt habe.

Eine übermäßige Spezialisierung kann allerdings auch Nachteile haben. Das beste Beispiel dafür sind Kletterer, die ich im Sinne der Suppenanalogie als Kartoffelliebhaber bezeichnen würde. Sie stürzen sich auf die Häppchen in der Suppe, die sie besonders mögen, und ignorieren den Rest. Dafür legen sie die Kelle oft schon frühzeitig beiseite und fangen an, mit dem Löffel auf die Jagd nach Kartoffelstückchen zu gehen. Anstatt also nur leichte Präferenzen zu haben, entwickeln sie sich zu Spezialisten für einen bestimmten Kletterstil, ohne ihre Fähigkeiten in anderen Bereichen auszubauen.

Auch das funktioniert eine Weile, führt auf Dauer aber in eine Sackgasse. Pickst du dir nur die besten Stücken aus dem Topf, wird das mit der Zeit immer aufwendiger. Du musst länger suchen, um noch etwas zu finden. Und weil die größten Brocken schon am Anfang herausgefischt wurden, wird die Ausbeute magerer und magerer. Beim Training ist es nicht anders, wenn du viel Zeit in einen bestimmten Aspekt steckst. Mit der Zeit geht es langsamer voran, bis sich irgendwann keine merklichen Verbesserungen einstellen. Deine Leistung erreicht ein Plateau.

Spätestens dann wird es Zeit, etwas zu ändern. Das Gute ist: Du findest in deinem Topf vielleicht keine Möhrenstücken mehr, dafür sind aber noch reichlich Kartoffeln übrig, die du problemlos abschöpfen kannst. Und obwohl Kartoffeln bisher nicht dein Lieblingsgemüse waren, kommst du mit der Zeit vielleicht auf den Geschmack. Beim Klettern ist das ein Sprung ins kalte Wasser. Sobald du dich aus der Komfortzone begibst, werden sich die Routen schwer anfühlen, du wirst ungewohnt unsicher sein und viel häufiger scheitern. Aber gleichzeitig öffnen sich dir neue große Entwicklungspotenziale. Normalerweise geht die Leistung schnell bergauf, sobald man sich einmal getraut hat und konsequent dran bleibt. Im besten Fall wirkt sich das dann auch positiv auf andere Bereiche aus, weil du Techniken verfeinerst oder vielleicht auch physisch stärker wirst.

Zu viel Routine ist Gift

Was du auf keinen Fall tun solltest, wenn es nicht mehr vorangeht, ist, stumpf immer mehr vom selben zu machen. Damit du dich relativ stetig verbessern kannst, musst du deinem Körper in gewissen Abständen neue Reize präsentieren. Andernfalls setzt Gewöhnung ein und deine Entwicklung kommt zum Erliegen.
Wenn du allerdings über Monate das Gefühl hast, auf der Stelle zu treten, wird es Zeit, dein Trainingssystem umzustellen. Eine pauschale Antwort auf die Frage, was du dann priorisieren solltest, gibt es nicht. Einen Hinweis kann dir aber das Abneigungsprinzip liefern. Willst du einen systematischeren Ansatz verfolgen, findest du in meinem Buch Bouldertraining einen Selbsttest, der dir deine Schwachstellen aufzeigt. Und falls du dir das immer noch nicht ausreicht, hast du natürlich immer noch die Möglichkeit, dir Rat von jemanden mit mehr Erfahrung zu holen. Zum Beispiel im Rahmen eines Coachings.

Realismus auch bei den Erwartungen

Eines solltest du aber unbedingt beachten: Bevor du dein Training komplett auf den Kopf stellst, überlege, ob deine Erwartungen überhaupt realistisch sind. In den ersten Monaten machen die meisten beim Klettern rasante Fortschritte. Waren vielleicht bei den ersten Hallenbesuchen auch die untersten Schwierigkeitsgrade noch eine Herausforderung, sind sie nach ein paar Wochen schon Material, das man in der Erwärmung abfrühstücken kann.

Das ist eine Entwicklung, die leider nicht ewig so weitergehen kann. Mit der Zeit werden die potenziellen Verbesserungen geringer und du musst mehr Aufwand betreiben, um voranzukommen. Das trifft auch dann zu, wenn du dein Training optimal aufgestellt hast. Du kannst also nicht erwarten, dass du auch in den höheren Schwierigkeiten genauso schnell durch die Bouldergrade marschierst, wie du es am Anfang getan hast. Vom 3 in den 4 Bleau-Grad zu kommen, ist oft nur ein Frage von Tagen. Vom 6. in den 7. zu kommen, kann aber Monate oder sogar Jahre dauern.

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