Künstliche Intelligenz ist normalerweise ein Thema, für das sich in erster Linie die Tech-Community begeistern kann. In den letzten Monaten haben jedoch neue lernfähige Programme auch im Mainstream hohe Wellen geschlagen. Ganz besonders gilt das für den Chatbot ChatGPT, der nicht nur mit der Fähigkeit beeindruckt, natürlich wirkende Unterhaltungen zu führen, sondern auch plausible Antworten auf komplexe Fragen finden und Computerprogramme schreiben kann. Manche sehen in der Software deshalb das Potenzial, unseren Alltag und unsere Arbeitswelt zu verändern. Sogar vom Ende einiger Berufsgruppen ist die Rede. Wer sich einmal mit ChatGPT unterhalten hat – die Software kann kostenfrei getestet werden – ist mit großer Wahrscheinlichkeit beeindruckt. Man ist schnell versucht, es nicht nur bei Smalltalk zu belassen, sondern auszuprobieren, wie gut das Programm wirklich Probleme lösen kann. Ist es zum Beispiel in der Lage, einen brauchbaren Trainingsplan für Boulderer zu erstellen? Ich habe es ausprobiert.
Beeindruckendes Sprach”verständnis”
Falls du noch nicht über ChatGPT gestolpert bist, hier eine kurze Erklärung, worum sich der Hype der letzten Monate dreht. ChatGPT wurde vom US-Unternehmen OpenAI entwickelt und im November 2022 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Bei der Software handelt es sich um ein selbstlernendes Sprachverarbeitungsmodell, das im Rahmen seines Trainings mit einer Vielzahl an Internetquellen, Zeitungsartikeln und Büchern gefüttert wurde. Das Programm hat dadurch gelernt, Texte zu erzeugen, die von menschlichen kaum zu unterscheiden sind. Es ist allerdings nicht in der Lage, die Bedeutung der Worte an sich zu verstehen. Stattdessen schätzt es über statistische Daten ab, wie sich Wörter so kombinieren lassen, dass ein sinnvoller Text entsteht.
Obwohl das Programm kein echtes Verständnis für die Inhalte hat, kann ChatGPT durchaus knifflige Aufgaben lösen. In einem Experiment wurde der Bot beispielsweise gefragt, ob der Wikipedia-Mitgründer Jimmy Wales beim Massaker auf dem Tian’anmen-Platz getötet wurde. Aufgrund der Trainingsdaten, die unter anderem einen Wikipedia-Artikel über Wales enthielten, schlussfolgerte das Programm richtig, dass Wales nicht bei dem Zwischenfall getötet wurde und sehr wahrscheinlich auch nicht dort war – inklusive einer schlüssigen Begründung dafür. Das geht deutlich über die Fähigkeiten bisheriger Chatbots wie Siri oder Alexa hinaus.
Eine Gefahr für Google und Co
Wenig überraschend fiel das Interesse der Öffentlichkeit nach der Veröffentlichung riesig aus und ist weiterhin ungebrochen. In den ersten fünf Tagen meldeten sich eine Million Menschen an, um den Bot auszuprobieren. Bis Januar 2023 stiegen die Nutzerzahlen auf über 100 Millionen an. Kein anderes Online-Angebot konnte bis dato so viel Zulauf verzeichnen. Weil die Software als einfach zu bedienender Informationslieferant genutzt werden kann, wurden Suchmaschinenbetreiber und Verlage nervös. Warum sollte jemand eine altmodische Websuche starten und sich von Artikel zu Artikel klicken, wenn ein Bot binnen Sekunden passende Antworten liefert?
Das Problem dabei: So genial ChatGPT in seinen besten Momenten agiert, so schlecht können die Ergebnisse im nächsten sein. Dabei ist die sprachliche Qualität durchgängig hoch, die inhaltliche jedoch nicht. Zu den Bestleistung der KI gehört, eine Jura-Prüfung an einer Hochschule in Minnesota bestanden zu haben. Gleichzeitig wurde sie an anderer Stelle beim “Fälschen“ der Quellen für eine wissenschaftliche Arbeit ertappt. Selbst für Fachleute wird es deshalb manchmal schwer, brauchbare Informationen von Unsinn zu unterscheiden.
Gute Karten trotz des Nischenthemas?
Aber wie sieht es nun beim Thema Bouldern aus? Schaut man sich im Netz um, ist die Menge an Informationen dazu im Moment noch vergleichsweise klein. Andererseits findet man häufiger fundiertes Material, als bei anderen Themen. Das sollte es ChatGPT ermöglichen, trotz der geringen Datenmenge gute Antworten zu finden. Bedenkt man, dass viele Regeln, die in anderen Sportarten gelten, sich problemlos auf das Bouldern übertragen lassen, steigt die Chance weiter.
Platt gesagt: Es macht keinen großen Unterschied, ob du einen starken Bizeps oder starke Unterarme haben willst. Die Prinzipien, nach denen du trainieren musst, sind die gleichen, nur die Übungen unterscheiden sich. ChatGPT muss lediglich eins und eins zusammenzählen. Das Wales-Experiment hat gezeigt, dass die Software grundsätzlich in der Lage ist, Fragen richtig zu lösen, auf die es keine vorgefertigte Antwort in der Datenbank gibt. Denkbar wäre also, dass der Bot auch bei der Trainingsplanung gute Ergebnisse erzielt. Das habe ich ausprobiert und im oben verlinkten Video dokumentiert.
Darf es auch etwas komplexer sein?
Grundidee war es, sich den Plan aus Sicht eines Otto-Normal-Boulderers erstellen zu lassen. Darunter verstehe ich jemanden, der seit einiger Zeit begeistert vom Klettersport ist, sich nun weiter verbessern will, aber kaum Kenntnisse zum Thema Trainingstheorie besitzt. Das ist wichtig. Denn es ist zwar möglich, ChatGPT um eine genauere Erklärung zu bitten, wenn etwas unklar ist. Um zu merken, dass Informationen fehlen oder missverständlich sein könnten, muss man jedoch eine Vorstellung davon haben, welche Infos wichtig sind. Bei Menschen ohne Vorkenntnisse ist das natürlich nicht der Fall. Sie haben keine Idee davon, ob eine Übungsbeschreibung oder die gewählten Trainingsgeräte für Kletterer Sinn ergeben. Anstatt der KI also das Leben leichter zu machen, indem ich ihr gleich einen ganzen Haufen wichtiger Infos präsentiere, nahm ich den direkten Weg: Ich bin Boulderer und brauche einen Trainingsplan.
Auf Basis dieser ersten Anfrage erklärte mir ChatGPT, ich solle als Boulderer an meiner Kraft und Technik arbeiten, regelmäßig zum Bouldern gehen, aber auch die Regeneration nicht vernachlässigen. Auch wenn diese Informationen richtig sind, ist das noch kein Trainingsplan. Deshalb wurde ich dann doch konkreter und forderte den Bot auf, mir einen Trainingsplan für die Fingerkraft zu erstellen – ein Thema, das sicher viele interessieren dürfte.
Konkretere Fragen, schwächere Antworten
Leider ließen die darauffolgenden Ergebnisse zu wünschen übrig. Ich erhielt zwar einen Plan, der schwächelte aber an mehreren Punkten. Neben eigenwilligen Übungsvorschlägen – was zum Beispiel “Handdrucksachen” sind, musste ich erst erfragen – wurde das Klettern nahezu komplett aus dem Programm gestrichen. Man könnte meinen, dafür wäre ich selbst verantwortlich. Ich hatte ja nach einem Fingerkraftprogramm gefragt und das Klettern nicht noch einmal erwähnt. Tatsächlich ist der Bot aber in der Lage, den Kontext früherer Gesprächsinhalte zu berücksichtigen. Er erkennt also, dass das Gesprächsthema das Bouldern ist und sich meine Frage dementsprechend auch aufs Bouldern bezieht. Trotzdem sollte ich während der acht geplanten Wochen nur in vier der insgesamt 24 Einheiten an die Kletterwand gehen. Das ist in jedem Fall deutlich zu wenig. Normalerweise verbringt man mindestens zwei Drittel der Trainingstage an der Wand. Ausreichende Praxis ist wichtig für den Erfolg des Plans. Andernfalls habe ich zwar am Ende stärkere Finger, weil meine Technik und meine Psyche aber abgebaut hat, kann ich damit wenig anfangen.
Die Grenzen der aktuellen und künftigen KI
Es gibt aber noch ein wesentlich grundlegenderes Problem. ChatGPT hat in seiner ersten Nachricht korrekterweise darauf hingewiesen, dass Trainingspläne individuell gestaltet sein müssen. Bei der Erstellung hat diese Erkenntnis jedoch keine Rolle gespielt. Das ginge auch über die Grenzen der Möglichkeiten der Software hinaus. Obwohl es für dieser Aufgabe nötig wäre, stellt das Programm nur in Ausnahmefällen Fragen. Zum Beispiel, wenn der Nutzer nach einer Antwort sagt, dass er mit seiner Frage etwas anderes gemeint hat. Ein individueller Plan kann aber nur entstehen, wenn man Informationen über den Trainingsstand, das Alter, die Ziele und den Lebensstil des Trainierenden hat. Was nützt ein Programm, das vier Einheiten in der Woche vorsieht, wenn man grundsätzlich nur Zeit für zwei hat?
Komplexe Aufgaben wie die Erstellung eines individuell angepassten Trainingsplans gehen dadurch aktuell über die Fähigkeiten der KI hinaus. Besser werden die Ergebnisse nur, wenn man selbst wichtige Infos liefert und unpassende Antworten aussortiert. Dafür muss man natürlich wissen, worauf es ankommt, könnte die Planung also selbst übernehmen. Die Dienste der Software sind derzeit bestenfalls als Inspirationsquelle interessant. Um ein nützliches Planungstool für Otto-Normal-Boulderer ohne Vorkenntnisse zu sein, fehlt es dem Bot trotz seiner Sprachgewandtheit aber an echter Intelligenz.
Trotzdem liefert ChatGPT einen interessanten Ausblick auf das, was noch kommen dürfte. Mit entsprechenden Anpassungen und einem noch größeren Pool an Trainingsdaten könnten zukünftige Sprachmodelle tatsächlich in der Lage sein, auch derart anspruchsvolle Aufgaben zu übernehmen. Dem Trainer bliebe dann noch die Qualitätskontrolle, die Anleitung der Kunden beim Training an der Wand und die psychologische Betreuung. Zumindest in den letzten zwei Punkten werden Chatbots wohl auch in Zukunft keine wesentliche Rolle spielen.