Supplemente im Klettersport: Schneller fit durch Proteinpulver und Co?

Breitensport und Nahrungsergänzungsmittel gehen seit Jahrzehnten Hand in Hand. Hersteller von Supplementen versprechen eine schnellere Regeneration, verbessertes Muskelwachstum und höhere Kraftzuwächse. Es heißt, wer die richtigen Proteine zur richtigen Zeit zu sich nimmt, optimiert die Trainingsergebnisse und kann schneller wieder trainieren, kommt also früher ans sportliche Ziel. Im Bodybuilding sind Proteinpulver, -pillen und -snacks fester Bestandteil der Kultur. Viele schwören auf die Wirkung, probiert hat es fast jeder. Was die rein physischen Anforderungen angeht, sind sich Bouldern und Kraftsport in vieler Hinsicht ähnlich. Deshalb liegt die Frage nahe, ob Proteinsupplemente auch hier ihren Sinn haben könnten.

Warum ist eine ausreichende Proteinzufuhr wichtig?

Proteine, umgangssprachlich auch Eiweiße genannt, sind die Grundbausteine menschlicher Zellen und damit auch der Muskulatur und des Bindegewebes. Eine Folge körperlicher Belastung ist es, dass diese Strukturen geschädigt werden – mal mehr, mal weniger stark. Nach dem Training ist der Körper bemüht, die entstandenen Mikroverletzungen zu beheben, um seine Leistungsfähigkeit wiederherzustellen. Die dafür notwendigen Proteine bestehen aus Aminosäuren, von denen ein Teil vom Körper selbst synthetisiert werden kann. Neun dieser Aminosäuren können wir allerdings nicht herstellen und müssen sie über die Nahrung aufnehmen.

Weil der Umbauprozess des Gewebes nicht nur auf die Regeneration nach dem Sport beschränkt ist, sondern ständig alte Zellen repariert und abgestorbene ersetzt werden müssen, wird täglich eine gewisse Menge an Proteinen benötigt. Dabei handelt es sich um den Grundbedarf. Sportliche Aktivität erhöht diesen Bedarf, weil die Regenerationsmaßnahmen zusätzlich zu den üblichen Umbauten anfallen.

Warum Supplemente?

Problematisch wird es, wenn die Zufuhr über längere Zeit unter dem liegt, was der Körper eigentlich braucht. Fehlt es an essentiellen Aminosäuren, bleibt ihm nichts übrig, als den Mangel aus anderen Quellen zu decken. Weil Muskeln für das Überleben des Organismus bis zu einem gewissen Punkt entbehrlich sind, greift er hier zu. Es kommt dann zum von Sportlern gefürchteten, durch Mangelernährung ausgelösten Muskelabbau. Drei Dinge sind für uns also wichtig:

  • Wir müssen den täglichen Bedarf an Proteinen decken.
  • Wir müssen darauf achten, die essentiellen Aminosäuren in ausreichender Menge zu uns zu nehmen.
  • Durch sportliche Aktivität wird der Bedarf im Vergleich zum Normalzustand erhöht.

Die Frage ist, wie man all diese Punkte in der eigenen Ernährung berücksichtigt, ohne Gefahr zu laufen, einen Mangel zu entwickeln. Die Antwort der Fitnessindustrie darauf sind Nahrungsergänzungsmittel. Laut den Werbeversprechen bieten diese eine ausgewogene Proteinquelle, die einfach ergänzend zu normalen Lebensmitteln verzehrt werden kann. Die Dosierempfehlungen sind oftmals üppig. Um die zwei Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht sollten wir täglich zu sich nehmen, heißt es von Seiten mancher Hersteller. Dann sei sichergestellt, dass dem sportlichen Erfolg zumindest auf der Ernährungsseite nichts mehr im Weg steht.

Natürlich lassen sich diese Mengen an Protein auch aus anderen Quellen ziehen. Ein Becher Magerquark hat beispielsweise 13 Gramm Eiweiß auf 100 Gramm. Wer einen 500-Gramm-Becher isst, nimmt 65 Gramm zu sich und kann damit bereits einen großen Teil des täglichen Bedarfs decken. Zusammen mit anderen Lebensmitteln kommt man so problemlos auf die etwa 100 bis 160 Gramm, die ein durchschnittlicher Erwachsener den Industrieempfehlungen entsprechend braucht. Das Problem ist nur: Wer möchte schon jeden Tag einen großen Becher Magerquark in sich hineinstopfen? Einen süßen Shake zu trinken, scheint da wesentlich komfortabler zu sein.

Das Argument biologische Wertigkeit

Ein weiteres, gern aufgegriffenes Argument ist die biologische Wertigkeit des Proteins. Mit der biologischen Wertigkeit wird die Verfügbarkeit der aufgenommenen Eiweiße für den Körper in einer Zahl zusammengefasst. Als Referenz dient das Hühnerei, das eine biologische Wertigkeit von 100 hat. Wie gut der Körper mit einem Protein zurechtkommt, hängt von der Quelle ab. Es spielt also nicht nur der absolute Proteingehalt eines Lebensmittels eine Rolle, sondern auch, was wir damit anstellen können. Molkenprotein (Whey) kommt auf eine Wertigkeit von 104, typische Proteinquellen einer vegetarischen Ernährung wie Bohnen, Erbsen und Linsen rangieren je nach Art um die 60 Punkte.

Pflanzliche Proteinquellen sind damit aber nicht automatisch minderwertig. Denn praktischerweise ist hier das Gesamte tatsächlich mehr als die Summe seiner Teile. Kombiniert man verschiedene Proteinquellen, lässt sich eine deutlich höhere Bioverfügbarkeit erzielen. Isst man beispielsweise Quark und Kartoffeln zusammen, steigt die biologische Wertigkeit auf 130. Reis und Soja kommen auf 111 Punkte. Dadurch werden auch solche Eiweißquellen hochwertig, die für sich genommen nicht so gut abschneiden, weil sich durch die Kombination beider Aminosäureprofile ein für den Menschen günstigeres Verhältnis ergibt. Viele Anbieter werben damit, genau das bei der Herstellung ihrer Produkte zu berücksichtigen. Als Verbraucher muss man sich also keine Gedanken darum machen, was man wie kombiniert, um bestmöglich versorgt zu werden.

Was sagt die Wissenschaft?

Auch wenn die Versprechen der Hersteller erst einmal vernünftig nachvollziehbar wirken und sich auf Erkenntnisse der Ernährungswissenschaft beziehen, sind sie in erster Linie eines: Versprechen von Unternehmen, die ihr Produkt bestmöglich verkaufen wollen. Bei genauer Betrachtung ist die Antwort auf die Frage nach der Nützlichkeit von Nahrungsergänzungsmitteln für Sportler weit weniger eindeutig. Das fängt bereits beim Konzept der biologischen Wertigkeit an.

Über Jahre galt Whey-Protein aufgrund seiner hohen Wertigkeit als eine der besten Eiweißquellen für den Muskelaufbau. Mittlerweile wird das aber in Frage gestellt. Der Grund: Um herauszufinden, wie gut ein Protein vom Körper aufgenommen wird, wurde gemessen, wie viel vom im Eiweiß enthaltenen Stickstoff nach der Verdauung wieder ausgeschieden wird. Der Unterschied zwischen aufgenommener und ausgeschiedener Stickstoffmenge ist die Basis der Bewertung der biologischen Verfügbarkeit. Leider hat dieses System eine Lücke. Es kann keine Aussagen darüber treffen, was der Körper genau mit den absorbierten Eiweißen anstellt. Diese können nämlich über die Glukoneogenese in Traubenzucker umgewandelt werden, was bei Whey der Fall sein könnte, wie Experimente mit Ratten gezeigt haben. Anstatt in den Aufbau der Muskeln zu wandern, wird das Protein dann zur Energiegewinnung zweckentfremdet.

Gleichzeitig sind die Angaben zum Proteinbedarf in den einschlägigen Fitnesszeitschriften und bei den Supplement-Herstellern sehr hoch angesetzt. Die Forschung konnte zwar mittlerweile einen gesteigerten Proteinbedarf bei Sportlern messen, zwischen den Empfehlungen von Sportmedizinern und Werbetextern liegen aber mit schöner Regelmäßigkeit Welten. Wo bei letzteren oft von 2 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht die Rede ist – gelegentlich aber auch 3 oder 4 Gramm in den Raum geworfen werden – , geht die Wissenschaft eher von einem Grundbedarf von 0,8 Gramm aus. Durch sportliche Aktivität steigert sich dieser abhängig von der Trainingsintensität auf 1,2 bis 2 Gramm. 3 Gramm benötigen demnach nur Extremsportler.

In den gut versorgten Industrieländern haben die Menschen deshalb keine Probleme, ihren Bedarf über eine normale, ausgewogene Ernährung zu decken. Macht es also überhaupt Sinn, Proteine zu supplementieren?

Geldverschwendung – ja oder nein?

Es gibt gute Gründe, den Marketingversprechen der Hersteller mit Skepsis zu begegnen. Allerdings ist das noch kein Grund, die Produkte völlig abzuschreiben. Denn abseits davon, wie gut die Proteine vom Körper verwertbar sind und wie viel Protein überhaupt nötig ist, steht noch die Frage der Wirksamkeit im Raum. Und hier gibt es zumindest Hinweise auf positive Effekte. In einer kleinen Studie mit 15 Teilnehmern wurde einer Gruppe vor und nach einer Krafttrainingseinheit ein Proteinsupplement gegeben, während eine Kontrollgruppe nur ein Placebo erhielt. Nach 24 und 48 Stunden mussten die Teilnehmer noch einmal einen Krafttest absolvieren, in dem die Probanden der ersten Gruppe messbar bessere Ergebnisse lieferten als die Placebo-Gruppe. Für die Forscher ist das ein Beleg, dass die Gabe des Proteins einen positiven Einfluss auf die Regeneration der Kraftleistung hat. Was nicht geprüft wurde ist, ob sich dieser Effekt nicht auch mit einer normalen proteinreichen Mahlzeit erzielen lassen hätte.

Es gibt außerdem Hinweise darauf, dass Nahrungsergänzungsmittel bei Sportlern mit einer negativen Stickstoffbilanz einen größeren Nutzen haben könnten. Das erscheint logisch. Schließlich ergibt sich eine negative Stickstoffbilanz, wenn der Körper mehr Proteine ab- als aufbaut, weil der Bedarf vorher nicht über die Ernährung gedeckt war. Das Supplement kann diesen Mangel ausgleichen. Hier scheinen die Pülverchen und Pillen schlussendlich doch glänzen zu können. Wer aufgrund einer besonderen Ernährungsweise – beispielsweise in Diätphasen – Schwierigkeiten hat, den Bedarf zu decken, kann mit Supplementen sicherstellen, trotzdem genug Proteine zu sich zu nehmen. Eventuell lässt sich so Muskelabbau vermeiden und verhindern, dass die Effekte des Trainings aufgrund der Minderversorgung verpuffen.

Und was ist mit Bouldern?

Paul T. von Hippel zur Idee, altersbedingte Defizite bei der Kollagensynthese durch Supplemente auszugleichen.

Studien zur Wirksamkeit von Protein-Supplementen im Klettersport gibt es meines Wissens noch nicht. Betrachtet man das Bouldern aber als Sportart, in der auf körperlicher Seite vor allem Kraftausdauer oder Maximalkraft gefordert ist, erscheint es logisch, dass die Studienergebnisse aus dem Kraftsport übertragbar sind. Und selbst wenn das Ziel im Bouldern nicht der Aufbau von Muskelmasse ist, lohnt es sich, dem erhöhten Eiweißbedarf Rechnung zu tragen. Denn unser Bindegewebe, also auch Sehnen und Bänder, besteht aus Kollagen, das durch das Klettern in Mitleidenschaft gezogen wird und neu aufgebaut werden muss. Als nicht-essentielles Protein synthetisiert unser Körper es selbst. Die dafür notwendigen Aminosäuren müssen dennoch in ausreichender Menge vorhanden sein. Ein Wirksamkeitsnachweis spezieller Kollagen-Präparate, die auch für Kletterer vermarktet werden, fehlt aber ebenfalls noch.

Alles in allem ist der Nutzen von Eiweißshakes und Co längst nicht so sicher, wie es die Anbieter versprechen. Die Ergebnisse der Forschung deuten eher darauf hin, dass sie in vielen Fällen keine Vorteile gegenüber einer ausgewogenen Ernährung bringen, die üblicherweise den Bedarf bereits deckt. Wer sich unsicher ist, kann trotzdem gelegentlich zur Nahrungsergänzung greifen, ohne negative Auswirkungen fürchten zu müssen. Denn obwohl man immer wieder liest, dass ein übermäßiger Eiweißkonsum die Nieren schädigen kann, scheint das bei gesunden Menschen nicht der Fall zu sein. Es ist aber gut möglich, dass das zusätzliche Protein lediglich zu Harnstoff verstoffwechselt wird und anschließend in der Toilette landet. Gelohnt hat sich der Kauf dann nur für den Hersteller. Echten Schaden können Supplemente trotzdem nur in Ausnahmefällen anrichten. Nämlich dann, wenn die Nieren bereits durch eine Erkrankung vorbelastet sind.

2 Gedanken zu „Supplemente im Klettersport: Schneller fit durch Proteinpulver und Co?

  1. Danke für den tollen Beitrag, Ralf! Auch mein Gedanke war, dass es sich ja letztendlich um Krafttraining handelt und man dementsprechend auch für ausreichend Proteine sorgen sollte. Dafür finde ich es schon bequem auch mal auf einen Shake zurückzugreifen, wenn es mal schnell gehen muss oder einfach sonst nicht viel an Proteinen war mit den Mahlzeiten. Liebe Grüße!

  2. Interessante Frage. Meiner Auffassung nach stellt sich nicht die Frage, ob wir mit einer ausgewogenen Ernährung genügend Protein zu uns nehmen können. In unserer Überflussgesellschaft sollte dies für jeden machbar sein. Du hattest das Thema Ernährung schon einmal in einem Video angesprochen und hast die völlig richtige Einstellung vertreten, dass man sich auf sehr unterschiedliche Arten gut ernähren kann, wenn es denn nicht gerade irgendein Schrott, wie Fast Food mit Kola ist. Das Thema Suplements wird – meiner Ansicht nach – erst interessant, wenn wir nicht fragen ob, sondern wann sie einen Sinn ergeben könnten. Wissenschaftler gehen davon aus, dass der Organismus in der ersten halben Stunde nach einer harten Trainingseinheit besonders aufnahmebereit für viele Nährstoffe ist. Nicht nur Eiweiß, auch und vor allem schnell verfügbare Kohlenhydrate in einer Form in der er nicht allzuviel Verdauungsarbeit leisten muss. Und hier kommt ein fettarmer, eiweiß- aber auch kohlenhydratreicher Shake ins Spiel. In der Bodybuildingszene sind solche Shakes als sogenannte Weight Gainer bekannt. Allerdings kann man auch genauso gut ein geschmacksneutrales Proteinpulver mit seiner Lieblingsbananenmilch mischen. Erdbeere oder Vanille geht natürlich auch. Dies ist in der Regel sehr viel günstiger. Schließlich kauft man hier nur zusätzlichen Zucker ein. Ausserdem sollte klar sein, dass mehr nicht dasselbe ist, wie besser. Aber darauf hattest du ja bereits hingewiesen.

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