Wenn der Tag ohnehin schon lang war oder später noch ein Termin wartet, kann es schwierig sein, sich zum Training zu motivieren. Schließlich lohnt es sich ja nicht, für anderthalb Stunden in die Halle zu fahren. Kaum bist du richtig warm, musst du auch schon wieder los. In der Zeit klappt vermutlich nicht mal das Projekt vom letzten Besuch. Da kann man es auch lassen. So oder so ähnlich klingen die Argumente, die dafür sorgen, dass das Training an vollen Tagen auf der Strecke bleibt. Und während es vielleicht stimmt, dass zu wenig Zeit bleibt, das aktuelle Projekt zu knacken, muss eine kurze Session nicht umsonst sein muss. Auch eine oder anderthalb Stunden lange Einheiten können ein produktives Training sein, wenn du es richtig angehst.
Sehr wahrscheinlich unterscheidet sich eine kurze Einheit von einer solchen, die du an normalen Tagen absolvieren würdest. Wo du in Projektsessions die Feinheiten schwerer Einzelzüge ausarbeitest, was oft mit langen Pausen verbunden ist, ist dafür in kurzen Sessions kein Platz. Würdest du an ein bis zwei Limit-Zügen basteln und nach jedem Versuch ein paar Minuten Erholung brauchen, würdest du tatsächlich sehr wenige Klettermeter auf die Uhr bekommen. Deshalb bietet es sich für kurze Sessions an, auf Quantität statt auf Qualität zu setzen. Statt schwerstmöglich zu klettern, kletterst du möglichst viel. Allerdings nicht nach dem Motto „Masse statt Klasse“, sondern nach der Devise „Masse mit Klasse“. Deshalb stehen weiterhin Probleme auf dem Programm, die fordernd für dich sind. Nur die einfachsten Boulder der Halle zu wiederholen, hätte tatsächlich wenig Effekt.
Was eine Volumen-Session ausmacht
Die konkrete Umsetzung einer solchen Trainingseinheit ist recht simpel. Der Plan ist, während der Session Boulder zu klettern, die an der Grenze deines Flash-Niveaus liegen. Also solche Probleme, die du mit der richtigen Beta normalerweise im ersten Versuch, spätestens aber nach einer Handvoll Versuchen klettern kannst. Damit du dich dabei nicht verzettelst, setzt du dir selbst ein Limit von drei Versuchen pro Boulder. Hast du diese aufgebraucht, geht es zum nächsten Problem, auch wenn es knapp war. So verhinderst du, dich unverhofft doch in ein Projekt zu verbeißen und stellst sicher, deinen Körper abwechslungsreich zu belasten.
Das ist auch nötig. Denn um tatsächlich eine möglichst große Zahl von Bouldern zu schaffen, kannst du dich zwischen Versuchen nicht lange ausruhen. Stattdessen musst du dich in aktiven Pausen erholen. Wenn du zum Beispiel nach einem steilen Boulder an Slopern spürst, dass deine Schultern, Unterarme und dein Rumpf müde sind, setzt du dich nicht auf die Matte, sondern suchst dir einen neuen Boulder, der dich auf andere Art fordert. Das perfekte Kontrastprogramm wäre beispielsweise eine kleingriffige Platte, bei der Balance wichtiger ist als Fingerstrom. Dadurch kannst du Kraft für den nächsten steilen Boulder sammeln, ohne mehrere Minuten auszusetzen. Das soll nicht heißen, dass du von Boulder zu Boulder rennen musst. Es ist durchaus okay, nach einem harten Versuch zu Atem zu kommen oder einen Schluck zu trinken. Die Pausen sollten aber nur so lang sein, dass du dich fit genug für den nächsten Boulder fühlst – was bei der richtigen Auswahl an Problemen keineswegs heißt, komplett erholt zu sein.
Effizienz und clevere Planung für mehr Erfolg
Die permanent anhaltende Ermüdung hat durchaus ihren Sinn. Sie zwingt dich, während des Trainings sparsam mit deinen Ressourcen umzugehen. Dafür musst du Boulder in einer sinnvollen Reihenfolge auswählen. Und du bist gefordert, auch an der Wand nach effizienten Lösungen zu suchen. Sei es, indem du präziser und trotzdem schneller kletterst, dynamisch arbeitest, wo statische Züge zu kraftraubend werden, oder du deine müden Unterarme besser über die Füße entlastest. Andernfalls wirst du bei dieser Art des Trainings schnell an Bouldern scheitern, die normalerweise kein großes Problem darstellen.
Teil der Herausforderung ist es auch, keinen Versuch unnötig zu verbrennen. Denn jeder Go, der nicht in einem Top endet, kostet dich Zeit und Kraft, die du später an einem anderen Boulder benötigst. Konzentration und Planung sind angesagt. Nimmst du dir auch unbekannte Boulder vor, kommt es außerdem auf deine Fähigkeiten im Routenlesen und deine Kreativität an der Wand an. Bist du es gewohnt abzuspringen, sobald du nicht mehr weiter weißt, zwingt dich die begrenzte Anzahl an Versuchen zu improvisieren oder durchzuziehen, auch wenn es sich einmal nicht perfekt anfühlt.
Müde Muskeln erfordern einen starken Kopf
Generell wird es häufiger als in gewöhnlichen Sessions zu Situationen kommen, in denen du dich überwinden musst. Wenn du zum Beispiel die Müdigkeit in den Unterarmen spürst und nicht sicher bist, ob du den Griff noch lange halten kannst, hilft es nichts, zu zögern. Dann fällst du mit Sicherheit. Ermüdet zu klettern, ist deshalb zu einem großen Teil Kopfsache. Es geht darum, trotz der „negativen“ Signale des Körpers weiterzumachen. Vor allem heißt es aber auch, Kontrolle über die eigenen Gedanken und Gefühle zu behalten. Sich auf das Wesentliche zu fokussieren, ist ein wichtiger Skill für alle, die beim Klettern ihre Grenzen austesten möchten. Kurzsessions sind deshalb eine gute Gelegenheit, Mentaltechniken wie die Visualisierung von Zügen zu trainieren.
Breites Spektrum an Vorteilen
Und damit wären wir bei der Frage, für wen sich diese Form des Trainings lohnt. Kurz gesagt: für jeden und jede, der oder die beim Klettern und Bouldern einen Leistungsanspruch hat. Aber selbst, wenn es dir nur darum geht, dich in der Kletterhalle fit zu halten, ist es eine interessante Option. Schließlich handelt es sich quasi um die Cardio-Variante des Boulderns. Richtig gemacht, bleibt der Puls während der Session konstant erhöht und das Herz-Kreislauf-System gefordert. Trainierst du regelmäßig so oder machst es für einige Wochen zu deinem Trainingsschwerpunkt, verbesserst du deine Ausdauer und Regenerationsfähigkeit. Das ist besonders für Boulderer interessant, die in Wettkämpfen in relativ kurzer Zeit viele Boulder mit wenig Erholung klettern wollen.
Abseits der physischen Seite werden aber auch eine Reihe von mentalen Skills trainiert. Die Fähigkeit, Routen schnell zu erfassen, eine Lösung zurechtzulegen und diese gegebenenfalls zügig anzupassen, sind leistungsentscheidend. Bist du beispielsweise im Wettkampf, macht es einen großen Unterschied für deine Platzierung, ob du Boulder flasht oder nicht. Und das hängt längst nicht nur von deiner physischen Fitness ab. Auch Angriffsbereitschaft und die Fähigkeit, negative Einflüsse auszublenden, sind trainierbar.
Jenseits von Wettkämpfen sind diese Fähigkeiten nicht weniger wichtig. Willst du ein Projekt am Fels nach vielen Versuchen endlich zusammensetzen oder alles in den Flash-Versuch eines Boulders legen, musst du dich fokussieren können. Auch wenn in diesen Situationen der physische Anspruch von Volumensessions keine große Rolle spielt, ist ihre mentale Komponente eine wertvolle Schule.
Die eierlegende Wollmilchsau des Klettertrainings?
Natürlich muss klar sein, dass Volumensessions bei allen Vorteilen nicht die einzige Form des Trainings bleiben dürfen. Zumindest wäre das auf lange Sicht keine gute Idee. Bereitest du dich beispielsweise auf einen Wettkampf vor, kann es aber eine gute Idee sein, sie in den Wochen davor häufiger auf den Plan zu schreiben. Am Ende brauchen wir aber immer Abwechslung, um uns zu verbessern. Fakt ist aber auch, dass kurze Sessions keine Zeitverschwendung sind, sondern eine gute Investition in deine Kletterleistung sein können. Nicht zu trainieren hingegen wäre tatsächlich verlorene Zeit.