Dass Fingerkraft im Klettersport ein entscheidender Performance-Faktor sein kann, ist offensichtlich. Wer die Griffe einer Route nicht hält, hat keine Chance, sie zu klettern. Dass das Gleiche auch für einen starken Rumpf gilt, ist weit weniger offensichtlich. Trotzdem wird mangelnde Körperspannung schnell zum limitierenden Faktor. Und das längst nicht nur im steilen Gelände. Denn alle Fingerkraft der Welt bringt nichts, wenn man sie nicht an die Wand bringen kann.
Das Problem der Pendelhüfte
Folgende Szene hat vermutlich jeder schon einmal gesehen: Ein Kletterer oder eine Kletterin versucht sich an einer überhängenden Route und hat sichtlich zu kämpfen. Nach jedem Zug schwingt die Hüfte hin und her. Die Füße werden schnell weitergezogen, unpräzise gestellt und scheinen jeden Moment abrutschen zu wollen. Passiert es dann tatsächlich, ist oft Schluss, selbst wenn die Finger eigentlich mehr hergegeben hätten.
Wenn du diese Situation nicht nur vom Zuschauen, sondern aus eigener Erfahrung kennst, sollte Körperspannungstraining auf deiner Prioritätenliste weit nach oben rutschen – selbst dann, wenn du Dachbouldern an sich wenig abgewinnen kannst. Denn die Vorteile gehen weit über die Kletterei im steilen Gelände hinaus. Weil die Körpermitte das Verbindungsstück zwischen Fingern und Füßen ist, ist sie in allen Wandneigungen gefragt. Sei es, um Druck auf kleine Tritte zu bringen, bei dynamischen Zügen den Schwung abzufangen oder auf Platten die Balance zu halten. Ein gut trainierter und stabiler Körperkern macht das Leben leichter. Deshalb profitiert jeder Kletterer unabhängig von den eigenen Vorlieben davon, die Körpermitte in Form zu bringen und zu halten.
Klettern statt pumpen
Erfreulicherweise bedeutet dies jedoch nicht, dass du dich stundenlang in der Trainingsecke deiner Halle mit Sit-ups und Planks quälen musst. Ein effektives, kletterspezifisches Rumpftraining lässt sich mit folgenden drei Übungen auch an der Wand realisieren.
Fokusklettern für den Rumpf
Ganz ohne Anstrengung geht es natürlich nicht. Wenn du an deiner Körperspannung arbeiten willst, sind steile Boulder der erste Anlaufpunkt. An ihnen kannst du durch fokussiertes Klettern deinen Rumpf auf die Probe stellen. Ideal sind dafür Boulder, die für deine Verhältnisse gute Griffe haben, dich aber trotzdem herausfordern.
Wie so oft beim Training geht es dann nicht um den Durchstieg, sondern um die Bewegungsqualität. Kletterer mit schwacher Rumpfmuskulatur neigen im steilen Gelände dazu, von Griff zu Griff zu schnappen, während die Körpermitte und Beine kaum mitarbeiten. Kommen sie nach einem Zug im nächsten Griff an, pendelt die Hüfte übermäßig hin und her, weil der Rumpf nicht ausreichend Kraft generiert, um stabil zu bleiben.
Genau das solltest du beim Fokusklettern möglichst vermeiden. Konzentriere dich deshalb darauf, bei jedem Zug die Spannung in der Körpermitte aufrechtzuerhalten und deine Beine aktiv einzusetzen. Anstatt weiterzuschnappen, spannst du beim Weiterziehen den Rumpf an und schiebst dich aus den Beinen zum nächsten Griff. Versuche gleichzeitig eine stabile Position zu finden, in der deine weiterziehende Hand komplett entlastet ist. So kannst du auch ohne Schwung weiter fassen. Vor allem bei überhängenden Bouldern mit kurzen Griffabständen und guten Griffen ist das normalerweise möglich.
Weitere Züge darfst du natürlich auch dynamisch lösen. Dein Fokus sollte aber auch dann darauf liegen, sofort Spannung aufzubauen, sobald du den nächsten Griff erreicht hast. So verhinderst du das unerwünschte Pendeln der Hüfte und das Abrutschen der Füße.
Stop-and-Go-Klettern
Während das Fokusklettern anfangs möglicherweise eine echte Herausforderung ist, sollte es dir nach einigen Wochen regelmäßigen Trainings deutlich leichter fallen. Um dann den Anspruch zu erhöhen und so weitere Fortschritte sicherzustellen, kannst du dich an schwereren Bouldern versuchen oder mit dem Stop-and-Go-Klettern den Schwierigkeitsgrad anziehen.
Für diese Übung suchst du dir erneut Boulder, die dich fordern, aber machbar sind. Das können sogar die gleichen sein, die du bereits beim fokussierten Klettern beackert hast. Die Idee der beiden Übungen ist ähnlich, ein kleiner Kniff lässt das Stop-and-Go-Klettern aber um einiges anstrengender werden, weil gute Kontrolle über den Körper noch wichtiger ist. Und so funktioniert es:
Die ausgewählten Boulder kletterst du wie bereits beim Fokustraining. Du hältst du Hüfte stabil und versuchst, die Bewegungen mit den Beinen einzuleiten. Einen kleinen Unterschied gibt es aber: Während du weiterziehst, stoppst du die Bewegung kurz vor dem nächsten Griff und hältst die Hand für einen Augenblick in der Schwebe. Dieser Moment verlangt von dir, den ganzen Körper unter Spannung zu halten. Das trainiert neben der Rumpfmuskulatur auch Arme, Beine, Schulter und Rücken. Und es erfordert, dass du eine stabile Körperposition gefunden hast. Stop-and-Go-Klettern ist deshalb gleichzeitig eine sehr gute Technikübung.
Das menschliche Pendel
Eigentlich solltest du es vermeiden, die Füße im Überhang kommen zu lassen. Das wird aber nicht immer klappen. Mal verlierst du die Spannung, mal rutscht der Fuß unerwartet von einem glatten Tritt. Und manchmal zwingt dich ein sehr weiter Zug dazu. Dann ist es wichtig, die Füße sofort wieder an die Wand bringen zu können, um die Finger nicht unnötig zu belasten. Das menschliche Pendel bereitet dich darauf vor. Die Idee ist simpel:
Du nimmst dir wieder Boulder im starken Überhang oder Volldach vor, die dich fordern, die du aber sicher klettern kannst. Anstatt diese normal zu klettern, lässt du nach jedem Zug die Füße kommen, hältst den Pendler ab und bringst sie ohne Hilfe des Schwungs wieder auf die Tritte. Nach einigen Zügen solltest du das deutlich im Bauch und im Bereich der Schulterblätter spüren. Wichtig ist aber auch hier nicht, dass du den Boulder komplett klettern kannst, sondern dass du wenigstens vier bis fünf saubere Pendler schaffst.
Als Alternative kannst du die dir für das menschliche Pendel auch zwei Henkel im Dach schnappen, dich an diese hängen und versuchen, alle Griffe und Tritte in Reichweite mit dem Fuß anzutippen, im besten Fall auch kurz zu stehen. Nach jeder Berührung lässt du dich wieder hängen, bevor du dir den nächsten Tritt holst. Besonders knifflig wird es, wenn du nicht nur anstellst, sondern versuchst, Toe-Hooks hinter geeignete Griffe oder Tritte zu legen.
So läuft das Training ab
Wenn du dich gerade an das Körperspannungstraining heranwagst, sind das fokussierte Klettern und das Stop-and-Go-Klettern ein guter Einstieg. Das menschliche Pendel ist bereits etwas anspruchsvoller. In den ersten Wochen genügt es, eine der Übungen auszuwählen und in einer Session drei oder vier Boulder nach diesem Prinzip zu klettern. Dabei ist es okay, wenn du nicht jeden der ausgewählten Boulder schaffst, wenigstens fünf sauber ausgeführte Züge am Stück sollten dir aber möglich sein. Fällst du dann ab, mach zwei bis drei Minuten Pause und starte in den nächsten Durchgang. Wenn du die Möglichkeit hast, variiere die Boulder um einseitiges Training zu vermeiden.
Wenn sich erste Fortschritte einstellen und du feststellst, dass dich das anfängliche Pensum nicht mehr fordert, kannst du die Zahl der Durchgänge auf sechs oder sogar acht erhöhen, die Übung wechseln oder dir schwerere Boulder suchen. An den Pausenzeiten von zwei bis drei Minuten solltest du aber festhalten. Merkst du, dass du bereits deutlich vor dem Ende deiner Pause komplett erholt bist, ist das ein Zeichen, dass du beim Anspruch anziehen musst.
Warum keine klassischen Core-Übungen?
Es gibt natürlich eine Reihe weiterer guter Übungen für den Rumpf. Die effektivsten sind allerdings immer die, die dem am nächsten kommen, was man können möchte. Das beste Training fürs Klettern ist also das Klettern selbst. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass es an der Wand nicht nur auf die reine Kraft ankommt, sondern auch auf die richtige Koordination der beteiligten Muskeln. Diese lernt man nur beim Klettern. Außerdem spricht isoliertes Rumpftraining lediglich einen Teil der beteiligten Muskeln an. Willst du Druck auf einen Tritt im Dach bringen, müssen auch das Gesäß, der Beinbeuger und sogar die Wade arbeiten. Bei Klassikern wie Planks oder Crunches sind diese nicht gefragt, beim menschlichen Pendel schon. Deswegen ist das Training an der Wand in vielen Fällen die erste Wahl.