Wie oft muss ich bouldern gehen, um besser zu werden?

In den letzten Wochen und Monaten sind immer wieder Nachrichten und Anfragen zum Thema Training in meinem Postfach gelandet. In vielen Fällen ging es darum, ein neues Leistungsniveau zu erreichen. Oft verbunden mit der Frage, ob das, was man sich vornimmt, ausreicht, um ein besserer Boulderer oder Kletterer zu werden. Dabei zeigte sich ein Bild, das man auch aus anderen Sportarten kennt: die weitverbreitete Vorstellung, viel helfe auch viel. Ein guter Grund, einmal darüber zu reden, wie oft man tatsächlich bouldern muss, wenn es aufwärtsgehen soll.

Was den Fortschritt beim Bouldern ausmacht

Bevor ich in diesem Artikel Empfehlungen dazu gebe, wie eine Trainingswoche gestaltet werden sollte, um Fortschritte abzusichern, muss kurz geklärt werden, welche Aspekte für die Entwicklung als Kletterer wichtig sind. Die Kletterleistung hängt längst nicht nur von der körperlichen Leistungsfähigkeit ab. Mentale Stärke und technische Qualität sind ebenfalls entscheidend. Wer ein hohes Kraftpotenzial vergeudet, weil die Technik keine effizienten Bewegungen erlaubt, kann die eigenen Grenzen genauso wenig erreichen wie jemand, der zwar physisch in der Lage ist, schwere Züge zu absolvieren, aber aus Unsicherheit davor zurückschreckt. Deshalb genügt es nicht, das Thema Leistungssteigerung nur auf die physischen Aspekte des Trainings zu reduzieren.

Wie schnell man sich entwickelt, hängt maßgeblich von der Erfahrung ab. Anfänger mit gering entwickelten Fertigkeiten kommen schneller voran als erfahrene Sportler, die ihre Fähigkeiten nur noch verfeinern. Letzteres kostet deutlich mehr Zeit und wirkt sich dementsprechend auf die notwendige Trainingshäufigkeit aus. Steigt das Niveau, wird es immer aufwendiger, eine weitere Verbesserung zu erzielen. Das gilt für alle drei entscheidenden Aspekte – Kraft, Technik und Mentales – gleichermaßen.

Trainingshäufigkeit als Boulderanfänger

Als Anfänger hat man es deshalb grundsätzlich leichter. Mit den ersten Versuchen an der Wand beginnt für den Körper ein Lernprozess. Dabei entwickeln sich Bewegungsmuster (Technik) und eine gewisse Routine in Verbindung mit der Höhe (Mentales). Folglich machen sich die Fortschritte von Woche zu Woche bemerkbar – selbst dann, wenn die tatsächliche Kraft anfangs noch nicht massiv zunimmt. Allein, dass die vorhandenen Reserven besser genutzt werden können, macht einen großen Unterschied. Nichtsdestotrotz wird die kletterspezifische Kraft ab dem ersten Besuch immer mittrainiert. Damit das Entwicklungspotenzial hier ebenfalls genutzt werden kann, ist eine gewisse Regelmäßigkeit wichtig. Einmal in der Woche zu klettern wäre das Mindeste, zwei Mal noch besser.

Zu den unangenehmen Nebeneffekten einer geringen Trainingsfrequenz gehört eine weniger strapazierfähige Haut. Verletzungen wie Flapper sind dann wahrscheinlicher.

Das bringt weitere Vorteile, zum Beispiel für den Aufbau einer strapazierfähigen Hornhaut. Diese wird als Reaktion auf die mechanische Belastung durch die Griffe gebildet. Weil binnen einer Woche aber neue Hautschichten darunter nachwachsen, ist es möglich, dass sich die Hornhaut bereits wieder löst, wenn man nur einmal pro Woche klettert und das nächste Mal an der Wand ist. Dadurch erhöht sich das Risiko von Flappern. Wer häufiger geht, hat also seltener mit schmerzhaften Hautverletzungen zu kämpfen. Darüber hinaus steigt auch die Schmerztoleranz – brennende Hände adé.
Häufiger als drei Mal in der Woche zu gehen, würde ich anfangs jedoch nicht empfehlen. Mehr dazu weiter unten.

Wie oft sollten Fortgeschrittene trainieren?

Stößt man in höhere Schwierigkeitsgrade vor, spielt Kraft eine zunehmende Rolle. Regelmäßigkeit wird dann noch wichtiger, damit einmal auftrainierte Muskeln erhalten und weiter gestärkt werden können. Basis dafür sind mindestens zwei Klettereinheiten in der Woche, besser noch wären drei. Das schafft Raum, Technik- oder Mentaleinheiten einzubauen, in denen der körperliche Anspruch der Boulder weniger wichtig ist.

Eine weitere zusätzliche Einheit wäre denkbar, ist aber nicht zwingend nötig. Wer dafür Zeit aufbringen kann und merkt, dass es trotz mehrmonatigem konstanten Trainings nicht mehr voran geht, hätte mit einer höheren Trainingsfrequenz eine Möglichkeit, neue Impulse zu setzen. Genauso gut wäre es jedoch möglich, die Zeit in der Halle besser zu strukturieren und Trainingsmethoden einzuführen, die Schwachstellen gezielt adressieren. In vielen Fällen wäre das zu bevorzugen, weil wenige qualitative Einheiten einen höheren Nutzen als zahlreiche mittelmäßige haben.

Zu große Ambitionen und Übertraining

Schaut man sich die Trainingspläne auf Profi-Niveau an, sieht es erst einmal so aus, als ob auch bei drei oder vier Sessions noch Luft nach oben wäre. Tatsächlich trifft man Spitzenboulderer gern auch sechs Mal die Woche in der Halle an. Zu glauben, dass diese dann immer Vollgas geben und harte Boulder projektieren, wäre allerdings ein Fehler. Stattdessen werden hier bestimmte Schwerpunkte im Training gesetzt, die jeweils unterschiedliche Anforderungen an den Körper stellen und so genügend Raum für Regeneration bieten. Wie bereits erwähnt, muss Techniktraining nicht kräftig sein. Und selbst beim Krafttraining lassen sich Schwerpunkte wie Fingerkraft oder Körperspannung legen, die mit geringem Abstand trainiert werden können, ohne dass es zu Überlastungen kommt.

Das Phasenmodell der Superkompensation bietet eine Erklärung, wie die Leistungsentwicklung nach dem Training abläuft. Das Training selbst stürzt den Körper in ein Leistungstief, von dem er sich erholen muss. Um künftig besser auf die Belastung vorbereitet zu sein, folgt in der Überkompensationsphase eine Verbesserung der Leistungsfähigkeit. Bleibt das neue Potenzial ungenutzt, fällt sie mit der Zeit allerdings wieder auf das Ausgangsniveau ab. (Abbildung aus dem Buch Bouldertraining)

Regeneration ist neben ausreichendem Training ohnehin der zweite Schlüssel zum Erfolg. Muskeln, Sehnen und Gelenke sowie Nerven brauchen Ruhephasen, um sich von den Belastungen während eines Trainings zu erholen. Mehr noch: Auf die reine Erholungsphase folgt die sogenannte Super- oder Überkompensation, während der die Leistungsfähigkeit über das ursprüngliche Niveau gehoben wird. Im Fall der Muskulatur ist dieser Prozess etwa 48 bis 72 Stunden nach dem letzten Training abgeschlossen. Im Idealfall wird dann mit der nächsten Session ein neuer Wachstumsreiz gesetzt. Sind die Pausen länger, steigt das Niveau langsamer, sind sie zu kurz, genügt die Erholung nicht und es kann sogar zum Leistungsabfall kommen.

Besonders Anfänger müssen sich in diesem Zusammenhang Gedanken um die Belastbarkeit ihrer passiven Strukturen (Bänder, Sehnen, Kapseln) machen. Diese erholen sich langsamer als Muskeln, was bei einem dauerhaft zu hohen Trainingsvolumen zu Überlastungsverletzungen führen kann. Erst nach mehreren Monaten bis Jahren sind die Strukturen an die Belastung gewöhnt, was häufigere harte Trainingseinheiten möglich macht. Auch das ist einer der Gründe, warum die Profis ein strenges Programm auf hohem Niveau fahren können. Über die Jahre hat sich ihr Bewegungsapparat so an das Klettern angepasst, dass er den hohen Belastungen gewachsen ist. Versucht man als unerfahrener Boulderer ein ähnliches Training umzusetzen, gerät man schnell ins Übertraining, mit dem Leistungsabbau und ein hohes Verletzungsrisiko einhergehen. Dem Körper fehlt es schlicht an ausreichend Erholungszeit.

Die Faktoren Alter, Erfahrung, Ernährung und Co

Schmerzen an der Außen- und Innenseite des Ellenbogens sind ein erstes Anzeichen für eine Überlastung. Werden diese ignoriert, kann sich ein Tennis- oder Golferellenbogen entwickeln.

Pauschalaussagen dazu, wann dieser Punkt erreicht ist, fallen schwer. Die oben abgegebenen Empfehlungen zur Trainingshäufigkeit stellen deshalb nur Richtwerte dar. Wie häufig man trainieren kann, hängt von der Intensität der einzelnen Einheiten, aber auch vom Alter und der Erfahrung des jeweiligen Sportlers ab. Ein knapp 20-Jähriger Boulderer, der sein ganzes Leben aktiv war, kann höhere Belastungen vertragen und erholt sich schneller, als es beim 40-Jährigen Büroangestellten der Fall ist, welcher übers Klettern den Wiedereinstieg in den Sport sucht. Weitere Einflussfaktoren sind die Ernährung und der generelle Lebenswandel. Alkohol und eine unausgewogene Diät verlangsamen die Regeneration. Ausreichend Schlaf beschleunigt sie.

Deshalb muss jeder für sich herausfinden, wo er oder sie steht und wie viel möglich ist. Untrügliche Zeichen für ein zu hohes Pensum sind Schmerzen in Gelenken, in den Unterarmen oder den Fingern und ein Erschöpfungsgefühl, das bis zum nächsten Training nicht verschwunden ist. Übertraining wird außerdem mit Schlafproblemen und einem geschwächten Immunsystem in Verbindung gebracht. Idealerweise tastet man sich deshalb an die Grenzen heran, indem man den Anspruch und Umfang des Trainings fürs Bouldern und Klettern schrittweise erhöht. Dafür ist die oben genannte Trainingshäufigkeit ein guter Ausgangswert. Von null auf 100 durchzustarten und gleich die ganze Woche mit Trainingseinheiten fürs Bouldern zu füllen, ist eher kontraproduktiv. Zumal ein solches Programm die meisten auf Dauer auch in puncto Motivation überfordern wird.

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