Antagonistentraining: 3 essenzielle Übungen fürs Bouldern und Klettern

Bouldern wird gern als Ganzkörperworkout verkauft. So hört man es immer wieder von Kletterbegeisterten, manchen Trainern, aber auch von Gesundheitsmedien, die sich dem Thema in Artikeln und Videos annehmen. Auch wenn das Versprechen, mit einer so abwechslungsreichen und spaßigen Art des Trainings den ganzen Körper fit zu halten, sehr gute Werbung ist, geht es leider ein wenig an der Realität vorbei. Gerade, wenn du regelmäßig an die Wand gehst, musst du ausgleichende Übungen machen, um dauerhaft gesund zu bleiben.

Vielseitig, aber nicht allumfassend

Tatsächlich: Bouldern ist eine Sportart, die in puncto Vielfältigkeit den meisten anderen Fitness-Trends vieles voraushat. Es zählen Kraft, Explosivität, Koordination, Beweglichkeit und nicht zuletzt auch Köpfchen. Dieser Abwechslungsreichtum lässt Bouldern für viele zu einem Sport werden, der sich nicht wie Sport anfühlt. Ließe sich damit dauerhaft der gesamte Körper in Form halten, wäre das beinahe zu gut – und ist es leider auch.

Das Warum erklärt sich fast von allein. Um die Wand nach oben zu kommen, sind nahezu ausschließlich Zugbewegungen nötig, die mit einer Retroversion und Innenrotation der Schulter einhergehen. Dabei werden immer wieder die gleichen Muskeln beansprucht. Besonders gefragt sind der an der Außenseite des Rückens liegende Latissimus und der Terres Major, die Armbeuger und zum Teil der hintere Schulterbereich. Ein gutes Training kann das Klettern auch für den Rumpf sein, wenn man häufiger im Überhang unterwegs ist. Ansonsten neigt der untere Rücken gegenüber dem Bauch etwas zur Abschwächung. Andere Muskelgruppen werden seltener gefordert, greifen nur stabilisierend ein oder werden gänzlich vernachlässigt. Die Folge ist bei Kletterern gut zu sehen, die seit Jahren mit viel Leidenschaft dabei sind. Ihre Schultern wandern nach vorn und lassen den Kletterrundrücken entstehen – eine Folge der ungleichmäßigen Entwicklung der Muskulatur.

Ausgleichstraining als Verletzungsprävention

Derartige Dysbalancen sind weit mehr als ein optisches Ärgernis. Mit der Zeit können sie zu handfesten Problemen führen. Der Rundrücken zum Beispiel mündet in vielen Fällen in schmerzenden Schultern. Um dem vorzubeugen, sollten Kletterer frühzeitig ergänzende Übungen in ihr Training integrieren. Die folgenden drei (oder entsprechend fordernde Variationen) sind ein guter Anfang.

Liegestütze

Bei Liegestützen verrät der Name schon, warum sie als ergänzende Übung gut für Kletterer und Boulderer geeignet sind. Als Stützübung sind sie das exakte Gegenteil der Zugbewegungen an der Wand und trainieren dementsprechend Muskeln, die beim Klettern weniger gefordert sind. Hauptarbeit leisten hier die Brustmuskulatur, der Trizeps und der vordere Anteil der Schultern. Die Rotatorenmanschette stabilisiert die Schulter, die Rumpfmuskulatur die Körpermitte. Bei einem korrekt ausgeführten Liegestütz ist letztere dafür verantwortlich, dass die Hüfte nicht durchsackt. Folglich verbessert sich auch die Körperspannung. Wie die korrekte Form mit Blick auf Körperhaltung, Handposition und Schulterwinkel aussieht, verrät das oben eingebundene Video.

TYI

Bei den TYI handelt es sich zwar um eine Zugübung, dennoch sollte sie regelmäßig ins Training eingebaut werden. Im Gegensatz zum Liegestütz benötigt man hier Ringe oder einen Schlingentrainer, die aber in der Trainingsecke einer jeden Halle zu finden sein dürften. Beim TYI wird die Muskulatur der Rotatorenmanschette, der hinteren Schultern, des Nackens und des inneren oberen Rückens trainiert. Diese sind unter anderem für die Bewegung des Schulterblatts und damit für die Stabilität der Schulter zuständig. Gleichzeitig helfen sie, den Oberarmkopf in der richtigen Position im Schultergelenk zu halten und beugen so Schmerzen vor.

Der TYI ist eine abgewandelte Form des Reverse Butterfly. Dabei hängst du dich mit gestreckten Armen rücklings in die Schlaufen des Schlingentrainers und ziehst dich nach vorn, ohne die Arme zu beugen. In der ersten Wiederholung hältst du die Arme parallel zum Boden und formst so mit deinem Körper ein T. Im zweiten Durchgang ziehst du dich erneut nach vorn, hebst die Arme aber so weit, dass ein Y entsteht. Wiederholung drei beginnt identisch und endet damit, dass du die Arme über den Kopf streckst. Daher das I im Namen. Auf was noch geachtet werden muss, ist ebenfalls im obigen Video erklärt.

Superman-Planks

Übung #3 zielt in erster Linie auf die Schwäche im Rumpfbereich ab. Dieser kann man mit Planks beikommen. Weil ein reiner Plank aber eine statische Halteübung ist und man im Gegensatz dazu beim Klettern ständig in Bewegung bleibt, würde ich dir den Superman-Plank als bessere Alternative empfehlen. Beim Superman-Plank gehst du in die Ausgangsposition des Liegestütz und hebst jeweils abwechselnd den rechten Arm zusammen mit dem linken Bein und den linken Arm mit dem rechten Bein. Dadurch muss die Körpermitte immer wieder arbeiten, um eine stabile Position zu finden. Gleichzeitig wird die Schultermuskulatur gefordert, was die Übung doppelt wertvoll macht. Essenziell ist, dass die Hüfte während der gesamten Übung nicht durchsacken darf. Gehst du ins Hohlkreuz, musst du unbedingt mehr Spannung im Rumpf aufbauen oder zu einer leichteren Variation übergehen, zum Beispiel indem du Arm und Bein nacheinander und nicht zusammen vom Boden hebst.

Die richtige Intensität und Alternativen

Variationen ist ein gutes Stichwort. Natürlich sind diese Übungsvorschläge nur die Grundlagen, mit denen du ins Antagonistentraining fürs Klettern starten kannst. Um den Trainingseffekt zu erhalten, wird es mit der Zeit nötig sein, die Intensität zu steigern oder neue Übungen zur Stärkung der Gegenspieler zu wählen. Beim Liegestütz wäre es beispielsweise möglich, die Füße erhöht aufzustellen oder zu Alternativen wie dem Schulterliegestütz zu wechseln. TYIs können abwechselnd mit Rudern trainiert werden. Auch für den Superman-Plank lassen sich zahlreiche andere Rumpfübungen finden.

Zeit dafür wird es, wenn du eine Übung bereits über mehrere Monate im Programm hast oder diese dir zu leicht wird. Ein Indiz dafür ist, dass du problemlos mehr als 12 Wiederholungen am Stück absolvieren kannst, ohne dich anstrengen zu müssen.

Es geht natürlich auch umgekehrt. Sind dir diese Übungen zu Beginn zu schwer, müssen leichtere Variationen her. Beim Liegestütz ist es sinnvoll die Hände erhöht aufzusetzen, beim TYI läuft man einfach einen Schritt zurück und hängt so weniger steil im Schlingentrainer. Deutliches Zeichen für einen zu hohen Anspruch ist, dass dir weniger als drei oder vier saubere Wiederholungen gelingen. Dann wäre es absolut empfehlenswert, eine leichtere Übung zu versuchen, weil die korrekte Form nicht nur der Effizienz der Übung dient, sondern auch Verletzungen vorbeugt. Übungsvorschläge für jeden Leistungsstand findest du in meinem Buch Bouldertraining.

Leseempfehlung: Target10a hat einen umfangreichen Artikel zu den beim Klettern belasteten (und vernachlässigten) Muskeln veröffentlicht. Sollte dich dieses Thema interessieren, kann ich den Text nur empfehlen:

https://www.target10a.com/magazin/2015/03/07/beanspruchte-muskeln-beim-klettern-2/

2 Gedanken zu „Antagonistentraining: 3 essenzielle Übungen fürs Bouldern und Klettern

  1. Hallo Ralf,

    hast Du auch Tipps für das gezielte Antagonisten-Training mit Blick auf Unterarm-/Fingerkrafttraining.

    Ich merke, dass ich nach intensivem Boulder-/Klettersessions nicht nur den üblichen „Pump“ spüre, sondern habe auch den Eindruck, dass meine Fähigkeit, die Hand mit gestreckten Fingen nach oben zu dehnen, etwas zu leiden scheint (und bin mir nicht ganz sicher, ob das einseitigem Training und/oder dem Eintritt ins Ü50-Alter zu „verdanken“ ist).

    Das Thema ist vielleicht nicht ganz sooo spannend für ein eigenes Video, aber andererseits relevant genug um es aufzugreifen, wenn Du mal wieder was Neues zum Thema Antagonisten oder Fingertraining planen solltest?

    Mit besten Grüßen
    Ralf

    P.S.: Falls Du dazu schon etwas gemacht hast, ich es aber übersehen habe: mea maxima culpa 😉

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