Erfolg ohne Effekt: Wie mein Training meine Leistung am Fels ruiniert hat

Wie kann das eigentlich sein? Man ist so fit wie noch nie, aber wenn es darauf ankommt, kann man nicht liefern. Eine mögliche Antwort wäre, dass man sich selbst zu viel Druck macht und deshalb das eigene Können nicht abrufen kann. Dieses Phänomen ist bekannt. Leistungssportler beispielsweise, die im Wettkampf mit hohen Erwartungen und gleichzeitig hoher Unsicherheit konfrontiert sind, üben Mentaltechniken, um in schwierigen Situationen einen kühlen Kopf zu bewahren. So gut diese Erklärung in vielen Fällen sein mag, mein jüngster Trip nach Fontainebleau hat mir gezeigt, dass sie manchmal trotzdem falsch ist. Obwohl ich zum Zeitpunkt der Reise in absoluter Bestform war, konnte ich in Bleau nicht einmal im Ansatz an alte Bestmarken anknüpfen. Druck hatte ich keinen. Vielmehr waren es gute Ergebnisse im Training, die mich in eine Sackgasse geführt haben. Denn sie haben mich einen Fehler machen lassen, der sich vor allem dann einschleicht, wenn es gerade richtig gut zu laufen scheint.

Hochmotiviert zum Trainingserfolg

Über die Osterferien 2022 war ich zum ersten Mal seit 2019 wieder in Fontainebleau. In den Jahren davor hatten wir wenigstens einmal, oft sogar zwei Mal im Jahr einen Trip ins französische Bouldermekka unternommen. Entsprechend groß war die Vorfreude und der Wunsch, nicht nur eine schöne Zeit zu haben, sondern auch sportlich vorlegen zu können. Klar war auch, dass es ohne eine gute Vorbereitung nicht gehen würde. Schon als im Dezember die Idee aufkam, es im Frühjahr endlich wieder zu riskieren, war die Motivation hoch, intensiver zu trainieren.

Von Dezember bis Anfang April war das Hangboardtraining mein steter Begleiter. Mit Repeatern und Max-Hangs wollte ich meine Maximalkraft aufpolstern. Dazu kam gezieltes Mobilitäts- und Stabitraining. Letzteres vor allem für die Schultern, weil diese sich in den vorherigen Monaten als anfällig gezeigt hatten. Außerdem habe ich die Heimwand wieder stärker frequentiert, was es mir ermöglichte, an zwei Tagen in der Woche zu klettern. Aus Mangel an Zeit hatte ich mich seit der Geburt meiner Tochter ja auf eine Klettereinheit wöchentlich beschränkt.

Dank des konkreten Ziels vor Augen trainierte ich so strickt, wie lange nicht mehr – mit entsprechenden Ergebnissen. Meine Leistungen beim Hangboarden gingen von Woche zu Woche nach oben und an der Heimwand konnte ich regelmäßig alte und neue Projekte abhaken. Zum Teil auch solche, bei denen mir die Einzelzüge anfangs illusorisch vorkamen. Das Stabitraining zeigte ebenfalls Wirkung. Meine Schultern waren zum Beispiel nie stark genug, um schmerzfrei einarmig am gestreckten Arm zu hängen. Zumindest nicht, wenn ich keinen riesigen Henkel in der Hand hatte. Durch das Training ist das mittlerweile möglich und hilft mir an der Wand spürbar. Weite, dynamische und kräftige Züge, bei denen die Füße fliegen, sind so deutlich machbarer geworden. Dass es mir dank besserer Hüftbeweglichkeit leichter fällt, näher an die Wand zu kommen, macht mich darüber hinaus zu einem effizienteren Kletterer.

Anspruch trifft auf Realität

Unter diesen Voraussetzungen hatte ich trotz der langen Felsabstinenz Hoffnung, einige Boulder schaffen zu können, die ich in den letzten Jahren ungeklettert zurücklassen musste. Druck hat sich deshalb aber nicht breitgemacht. Meine Einstellung war weniger: „Du musst das jetzt klettern“, sondern eher: „Du kannst jetzt das klettern.“ Diese Überzeugung hatte einen netten Nebeneffekt. Am Fels bin ich von jeher eher der vorsichtige Typ. Bei kniffligen Zug war ein Teil meines Kopfes in der Vergangenheit immer mit der Frage beschäftigt, was denn eigentlich passiert, wenn ich stürzen sollte. Anders beim letzten Besuch in Bleau: Selbst über einer suboptimalen Landezone war ich relativ entspannt und konnte mich auf die Züge konzentrieren. Alles in allem beste Voraussetzungen, um gute Ergebnisse zu liefern.

Trotzdem kam es anders. Ein Faktor war sicherlich, dass die Zeit dieses Mal knapper war als in jedem anderen Bleau-Urlaub. Von 12 Tagen habe ich nur an vier Tagen wirklich die Möglichkeit gehabt, mich auf Boulder einzulassen. Wer Bleau kennt, weiß, dass es vor allem nach langen Pausen etwas Zeit braucht, um sich auf den Stil einzustellen, den der französische Sandstein abfordert. Weil mein Kopf aber gut mitgemacht hat, war Eingewöhnung aber gar nicht so wichtig. Entscheidender dürfte gewesen sein, dass ich in meiner Vorbereitung zu viel von dem gemacht habe, was mich – ganz objektiv gesehen – als Kletterer weitergebracht hat. Gleichzeitig aber zu wenig von dem auf dem Plan stand, was ich als Vorbereitung für Bleau tatsächlich gebraucht hätte. Leider können das sehr unterschiedliche Dinge sein.

Wenn das eine nicht zum anderen passt

Die Diskrepanz zwischen meinem Training und der Realität am Fels hat sich an mehreren Punkten gezeigt. In den Monaten vor dem Urlaub hatte mein Kletteralltag einen relativ gleichbleibenden Charakter. Mein Fingertraining habe ich vor allem an Leisten absolviert. An meiner Heimwand sind viele Griffe eher klein und auch in unserer Halle spielt sich viel der schweren Kletterei an kleinen Griffen ab. Und wenn die Griffe größer werden, sind es oft Koordinationsboulder, deren Schwierigkeit eher in der Bewegung als im physischen Anspruch liegt. An meiner Heimwand sind es manchmal extrem kompakte Sitzstarts oder Züge in für mich unbequemen Positionen, die das Training schwer machen. Das alles fällt mir nicht zu, aber ich bin in diesen Dingen über die Zeit um einiges besser geworden.

Sloper und kleine Tritte zeichnen die Kletterei in Bleau aus, standen bei mir aber weniger auf dem Programm.

Unglücklicherweise ließen sich diese Erfolge nicht auf den Fels übertragen, weil der Charakter der Kletterei in Fontainebleau häufig ein ganz anderer ist. Wo ich für harte Züge an kleinen Griffen in der Kompaktklasse trainiert habe, musste ich mich in vielen der schweren Boulder in Bleau aufs Maximale ausfahren, um überhaupt an die Griffe zu kommen. Wo ich es gewohnt war, mich über pure Fingerkraft in kleine Griffe zu verbeißen, hatte ich auf einmal damit zu kämpfen, meine Füße auf den Tritten zu halten oder über den Oberkörper genug Kompression aufzubauen, um die typischen Bleau-Sloper zu halten.

Zwar hatte ich besonders in den letzten Wochen vorsorglich weite Züge in mein Heimwandtraining eingebaut. Selbst bei denen war die Belastung aber nicht mit dem vergleichbar, was mir draußen begegnet ist. Einerseits ist die Wand kaum groß genug, um wirklich auf volle Länge zu gehen. Andererseits sind meine Tritte im Vergleich zu den abschüssigen Reibungstritten und Minikanten am Sandstein echte Parkplätze. Stehen konnte ich das kleine Zeug trotzdem, nur waren die Reserven der Körpermitte wesentlich schneller aufgebraucht als zum Beispiel in den Fingern. Ein ständiges Thema war deshalb, dass ich die Griffe zwar noch halten konnte, mir aber die Füße abgerutscht sind. So ziemlich alle schweren Boulder, die ich angefasst habe, konnte ich am Ende in zwei Teilen klettern. Zum Zusammensetzen hat es dann aber nicht mehr gereicht.

Was hätte ich also tun können?

Eine mögliche Maßnahme wäre gewesen, nicht nach Bleau zu fahren. Sondern irgendwohin, wo Leisten und 30 Grad steile Überhänge dominieren. Also ein Gebiet zu besuchen, dass den Stil meines Trainings besser widerspiegelt. Weil der Wald südlich von Paris mir aber längst nicht nur wegen seiner Boulder gefällt, war das keine ernsthafte Option. Schlauer wäre es also gewesen, mein Training bleauiger zu gestalten. So gut die Ergebnisse waren, ich habe am eigentlichen Ziel vorbei trainiert und konnte deshalb nicht liefern.

Das Training auf die Situation anzupassen, ist natürlich leicht gesagt. Tatsächlich ist es gar nicht so einfach. Meine Heimwand ist so groß, wie sie ist, und wird sich auch in Zukunft eher für kleingriffige Züge als für Kompressionstraining eignen. In der Halle habe ich als Teil des Routenbauteams zwar einen gewissen Einfluss auf die Boulder, dort schraube ich aber für die Kundschaft, nicht damit ich ideal für meine Urlaube trainieren kann. Trotzdem gibt es ein paar Dinge, die ich umsetzen hätte können, damit mein Training nicht ins Leere läuft.

Punkt 1: klare Ziele definieren

Zugegebenermaßen bin ich schon an diesem Punkt gescheitert. Denn obwohl ich Trainingsziele hatte, waren diese kaum auf den Besuch in Bleau angepasst. Ich wollte stärkere Finger bekommen, meine Beweglichkeit verbessern und mit dem Stabitraining Verletzungsprävention betreiben. Zum Teil, um schwerer klettern zu können. Zum Teil aber auch, um den hohen Anforderungen der Arbeit als Routenbauer besser gewachsen zu sein. Bleau war zwar irgendwo auch im Hinterkopf, mein Gedanke war aber eher: Wenn ich diese Schwächen ausbügle, wird sich das auch positiv auf meine Leistung am Fels auswirken.

Diese Rechnung ist leider nicht aufgegangen. Stattdessen hätte ich mir angepasstere Ziele setzen sollen. Zum Beispiel in dem ich mir vornehme, einen guten Teil meiner Kletterzeit an Slopern zu verbringen. Oder noch besser: Indem ich mir einen konkreten Boulder aussuche, den ich während des Trips schaffen will, und schaue, was ich dafür können muss.

Punkt 2: Das Beste aus den Gegebenheiten herausholen

Ich hätte mehr aus dem machen müssen, was ich habe – selbst wenn die Möglichkeiten nicht optimal sind. Auch wenn die Zahl schwerer Sloper-Boulder in meiner Heimathalle gering ist, hätte ich sie mit Kreativität besser nutzen können. Eine Möglichkeit dazu ist, ganz bewusst nach alternativen Lösungen zu suchen. Anstatt nur den leichtesten Weg zu nutzen, hätte ich mir das Leben bewusst schwer machen sollen. Vor allem an Bouldern, die man selbst als gut machbar empfindet, ist das möglich. Meistens gibt es in solchen Problemen verschiedene Lösungen, die man dann durchspielen kann, um sich immer wieder neu herauszufordern. Eine andere Möglichkeit ist, Griffe weg oder dazu zu definieren, um völlig neue Kletterprobleme zu schaffen.

Punkt 3: Optimieren, was sich beeinflussen lässt

Richtig praktisch ist in dieser Hinsicht das Training an einer Spraywall, an der alle möglichen Arten von Griffen vertreten sind. Hier hat man alle Freiheiten und die Möglichkeit, sich passende Probleme zu definieren. Meine beste Option ist da meine Heimwand. Die wird zwar auch in Zukunft weiter eher kleingriffig bleiben, nachbessern kann ich trotzdem. Schon der Wechsel von großen auf kleine Tritte ändert den Anspruch des Trainings. Kleinere Tritte erfordern immer auch mehr Einsatz der Körpermitte. So kann ich mein Training wie gehabt weiterführen und gleichzeitig dafür sorgen, dass die Körperspannung künftig seltener zum Problem wird.

Punkt 4: Trainingsmonotonie vermeiden

Zu guter Letzt hätte ich mein Training abwechslungsreicher gestalten müssen. Auch wenn dank meiner Fortschritte den Eindruck hatte, auf einem guten Weg zu sein. Sich zu sehr auf wenige Punkte zu konzentrieren, sorgt leider sehr wahrscheinlich dafür, dass man in anderen Bereichen abbaut. Vermeiden lässt sich das nur, wenn man den eigenen Schwächen arbeitet, ohne zu vergessen, die eigenen Stärken zu pflegen. So bleibt man für alle Eventualitäten gerüstet und muss nicht wie ich feststellen, dass auf einmal Dinge nicht mehr gehen, die eigentlich gehen sollten.

Hast du Lust auf einen Ausflug auf Bleau und willst dich nicht nur körperlich gut vorbereitet sein? In meinem Reiseguide Destination Fontainebleau erfährst du, was du wissen musst:

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