Anhand von Griff- und Trittkombinationen erkennen zu können, wie eine Klettersequenz funktioniert, bevor man sie probieren konnte, ist für alle Kletterer ein wichtiger Skill. Besonders in Wettkämpfen kommt das offensichtlich zum Tragen, wenn Flashs und Top den Unterschied bei der Platzierung machen. Aber auch im Hallenalltag ziehen wir Befriedigung daraus, möglichst viele Boulder im ersten Versuch klettern zu können. Ist das auch dein Ziel, erhöhen sich die Chancen natürlich, wenn du dir die Probleme genau anschaust und alle verfügbaren Informationen einbeziehst. Dabei kann das Chalk von vorherigen Begehungen eine zentrale Rolle spielen.
Chalkspuren als Tippgeber beim Bouldern
Klar, Routenlesen ist Erfahrungssache. Und je länger du kletterst, desto leichter wird es dir fallen, die Sequenzen zu entschlüsseln, die ein Routenbauer beim Schrauben im Hinterkopf hatte. Aber auch mit viel Erfahrung stößt man immer wieder auf Griff- und Trittkombinationen, die sich nicht sofort erschließen. Dann wäre es natürlich praktisch, jemand anderen im Boulder zu sehen, um sich Inspiration zu holen. Allerdings können auch die Spuren anderer Kletterer dir wichtige Hinweise liefern, selbst wenn diese schon längst weiter gezogen sind.
Das Offensichtliche: Wo kann ich greifen?
Ohne überhaupt genauer zu schauen, fällt beim Blick auf einen Boulder auf, dass manche Stellen Chalk gesehen haben und andere nicht. Und damit offenbart sich direkt, wo denn eigentlich gegriffen werden kann. Hast du es mit besonders großen Griffen oder Volumen zu tun, ist dieser Hinweis bereits Gold wert. Denn so siehst du, wo sich das jeweilige Element am besten halten lässt und wo es weniger erfolgsversprechend ist. Besonders wenn große Griffe unterschiedliche Strukturen beherbergen, hilft das enorm – erst recht, wenn du den Griff noch gar nicht kennst.
Bei komplexen Bouldern mit vielen Elementen kommt noch ein weiterer Punkt hinzu: Siehst du, wo gegriffen wird, erschließt sich eventuell auch, welche Elemente nur als Tritte dienen. Abriebspuren des Sohlengummis sind hier ebenfalls aufschlussreich und können von dir genauso berücksichtigt werden wie Chalkflecken.
Praktisches Detail: Welche Hand landet wo?
Hast du dir einen Überblick verschafft, wird es Zeit, sich auf Details zu konzentrieren. Denn zu wissen, wo ein Griff gehalten wird, ist nur die halbe Miete. Schließlich macht es einen ziemlichen Unterschied, ob du ihn dir mit der rechten oder linken Hand holen musst. Aber auch hier können Chalkspuren dank ihrer Form und Lage Hinweise liefern. Besonders offensichtlich wird es bei Griffen, die als Zange gehalten werden. Hier verrät die Position des Daumenabdrucks, ob die vorherigen Kletterer mit der Rechten oder Linken am Griff hingen. Aber auch die Handballen können zum Beispiel an Slopern unmissverständliche Spuren hinterlassen.
Nonverbale Kommunikation: Handfeste Tipps vom Vorgänger
Zum Teil wird Chalk auch ganz bewusst als Hinweisgeber eingesetzt – in Form von Tickmarks. Dabei handelt es sich um kleine Chalkpunkte oder -striche, die wichtige und weniger offensichtliche Teile des Boulder sichtbarer machen sollen. Besonders beliebt sind sie als Markierung für versteckte Griffe, die beispielsweise auf der abgewandten Seite eines Volumens liegen und deshalb während des Kletterns nicht mehr gesehen werden können. Sie können aber auch gute Stellen an den Griffen anzeigen. Siehst du eine solche Tickmark, solltest du genauer hinschauen, um herauszufinden, welchen Sinn sie hat. Wichtig ist zudem, sich ihre Position einzuprägen. So vermeidest du, später ratlos suchend in der Route zu hängen, sondern weißt direkt, wo du hinschauen musst, wenn du sie brauchst.
Noch ein Tipp: Am echten Fels sind Tickmarks noch beliebter als in der Halle, sollten dort aber niemals an der Wand bleiben. Willst du nach dem Bouldern weiterziehen, entferne mit einer Bürste alle Tickmarks und weiteren Chalkspuren, so gut es geht. Zugeschmierte Felsen haben schon viel zu oft für Probleme gesorgt.
Chalk kann missverständlich sein
Natürlich können sich die im Chalk verborgenen Hinweise zum Teil auch als wenig hilfreich entpuppen. Haben viele Boulderer verschiedene Lösungsansätze versucht, werden die Spuren unklar. Haben wenige über längere Zeit einen falschen Ansatz verfolgt, hinterlässt das Spuren, die auf eben diese falsche Fährte führen. Genauso gut kann es aber auch sein, dass die Lösung eines anderen einfach nicht für dich funktioniert. Deswegen solltest du beim Routenlesen nicht alles auf diese eine Karte setzen und stattdessen versuchen, eigene Wege zu finden. Wie du dabei vorgehen kannst, erkläre ich dir im folgenden Video: