Vor knapp zehn Jahren habe ich das erste Mal einen Fuß in eine Kletterhalle gesetzt und war nach leichten Startschwierigkeiten angefixt. Das erste Reinschnuppern genügte, um zu wissen: Davon will ich unbedingt mehr – auch wenn mir danach die Hände brannten und ich am nächsten Tag noch immer platt war. So folgte Besuch auf Besuch und irgendwann der Gedanke, dass eigenes Equipment eine feine Sache wäre, Schuhe zum Beispiel. Ahnung davon, wie man einen passenden Kletterschuh findet, hatte ich natürlich keine. Also musste ich mich auf die Tipps der erfahreneren Kletterkollegen verlassen. Einer davon hält sich bis heute tapfer. „Ein Kletterschuh darf ruhig weh tun.“
Schmerzen für die richtige Passform?
Um es vorwegzunehmen: Dass Schuhe fürs Klettern und Bouldern den Fuß zu einem schmerzhaften Bündel zusammenschnüren müssen, ist eines der wahrscheinlich auch heute am weitesten verbreiteten Missverständnisse zu diesem Thema. Das mag daran liegen, dass die Empfehlung einer nachvollziehbaren Idee folgt: Fakt ist leider, dass nahezu jeder Kletterer den ersten Schuh in der falschen Größe kauft, nämlich zu groß. Spätestens nach ein paar Wochen merkt man dann, dass der Schuh sich auf den Tritten durchbiegt wie ein Clownslatsch. Seinen eigentlichen Zweck, den Fuß beim Stehen auf kleineren Strukturen zu unterstützen, kann er so nicht erfüllen. Verstärkt wird dieses Problem noch, weil manche Schuhe beim Eintragen nachgeben und sich gut und gerne eine halbe Nummer weiten. Um dem vorzubeugen, raten viele Kletterer dazu, einen Schuh zu kaufen, der beim Anprobieren schmerzhaft eng sitzt. Ist dieser erst einmal eingetragen, passt er perfekt – so zumindest die Logik hinter dieser Empfehlung.
Und tatsächlich: Vor ein paar Jahrzehnten war das in vielen Fällen ein brauchbarer Tipp. Damals bestanden Kletterschuhe noch hauptsächlich aus Leder und damit aus einem Material, das stark nachgibt. Trägt man einen Lederschuh für einige Zeit, passt dieser sich immer mehr an den Fuß an. Das trifft auf einfache Kletterschuhe genauso wie auf Straßenschuhe zu. Allerdings haben sich Schnitt und verwendete Materialien in den letzten Jahren immer weiter verändert, sodass diese einfache Wahrheit längst nicht mehr auf jedes Modell übertragen werden kann.
Neue Schuhe, neue Regeln
Der offensichtlichste Unterschied zwischen den oftmals knöchelhohen Oldtimern und modernen Modellen ist sicher der verstärkte Einsatz von Gummi. Gerade Performance-Modelle besitzen nicht nur eine Gummisohle und einen gummierten Rand, sondern auch eine komplett in Gummi eingefasste Ferse und in manchen Fällen eine Zehenbox, die bis über den Spann mit eben diesem Material eingedeckt wurde. Sinn ist es, so die Eigenschaften des Schuhs beim Heel- und Toe-hooken zu verbessern. Aber während die Gummierung bessere Reibungseigenschaften verspricht, gibt sie auch auf Dauer kaum nach. Folglich bleiben derartige Schuhe ihrer Ursprungsform stärker treu, als es bei einem reinen Lederschuh der Fall wäre.
Leder und Gummi sind zudem nicht die einzigen Materialien, die heute bei der Schuhherstellung verwendet werden. Eine beliebte Alternative sind Synthetikstoffe, in seltenen Fällen kommt Baumwollstoff zum Einsatz. Beide Materialien lassen sich kaum davon beeindrucken, wenn der Fuß im Schuh versucht, sich mehr Luft zu verschaffen. Folglich weiten sich die Modelle beim Eintragen nur unwesentlich nach. Und damit sind die Chancen hoch, dass etwaige Schmerzen, die man beim Anprobieren ertragen hat, auf Dauer ein Problem bleiben.
Nicht zu eng, sondern falsch geformt
Das zieht nicht nur den Tragekomfort in den Keller, es kann auch die eigene Leistung an der Wand negativ beeinflussen. Wenn jedes Anstellen des Fußes schmerzt, wird man geneigt sein, möglichst wenig Last von den Händen auf die Füße zu verteilen. Beides zusammen mindert dann den Spaß, den man beim Klettern entwickeln kann. Einen schmerzhaft eng sitzenden Schuh zu kaufen, ist also wenig zielführend.
Natürlich gilt nach wie vor, dass ein Kletterschuh eng sitzen muss, damit man wirklich in vollem Umfang von der Anschaffung profitiert. Schmerzen sind aber kein guter Indikator dafür, ob ein Schuh eng genug ist, da selbst zu weite Schuhe weh tun können. Hier kommt der Schnitt des jeweiligen Modells zum Tragen. Bei Kletterschuhen, besonders solchen, die auf schwere Kletterei ausgelegt sind, muss dieser nicht zwangsläufig ergonomisch sein. Die Hersteller versuchen, mit bestimmten Kniffen die Performance zu verbessern. Häufig geht das allerdings zulasten des Tragekomforts. Dazu kommt die Unterschiedlichkeit der Fußformen. Verschieden lange Zehen, flacher oder hoher Spann, eine stark oder schwach ausgeprägte Verse – all das hat Einfluss darauf, wie gut Fuß und Schuh miteinander harmonieren. Gehen Fußform und Schnitt weit auseinander, führt das unweigerlich zu Problemen. Selbst dann, wenn der Schuh in der richtigen Größe gekauft wird. Und umgekehrt: Passt beides gut zusammen, kann auch ein enger Schuh zumindest für einige Zeit schmerzfrei getragen werden.
Anziehen, testen, tauschen…
Letzteres ist genau das, was man eigentlich will: Einen Schuh, der den Fuß eng einfasst, dadurch ein gutes Trittgefühl vermittelt, bei Hooks nicht nur am Plastik oder Fels, sondern auch am Fuß klebt und so optimale Unterstützung bietet. Aber ohne weh zu tun. Im Idealfall halten sich selbst beim Eintragen die Probleme in Grenzen und lassen spätestens nach, wenn der Schuh aufgewärmt und damit elastischer geworden ist. Bleibt der Schmerz und wird immer schlimmer, ist das kein Zeichen, dass der Schuh eng genug sitzt. Es zeigt eher, dass das Modell nicht passt. Deshalb sollte man sich bei der Wahl des Kletterschuhs immer Zeit nehmen, verschiedene Modelle und Größen testen und möglichst ein paar Züge darin klettern. Am Ende sollte die Wahl dann auf den Schuh fallen, der gleichzeitig am straffesten getragen werden konnte und sich trotzdem am bequemsten angefühlt hat.
Ein Gedanke zu „Schuhkauf: Müssen Kletterschuhe weh tun?“