Aktive Mobilisierung fürs Bouldern: Mehr Beweglichkeit abseits des Stretchens

Der Tritt liegt in unerreichbarer Ferne, beim Stützen wird es schwer, den Fuß zur Hand zu bringen, ein Heel-Hook lässt sich nicht vernünftig legen und beim Toe-Hook rutscht der Fuß, sobald man die Hand löst – falls dir eine oder mehrere dieser Situationen schon häufiger begegnet sind, hast du möglicherweise Defizite bei der Beweglichkeit. Um dem beizukommen, wäre nach weitverbreiteter Ansicht dehnen angesagt. Wenn es dir allerdings wie mir geht und du es unglaublich langweilig und frustrierend findest, über Minuten unter Schmerzen eine Position zu halten, ist aktives Mobilitätstraining die bessere Alternative.

Aktive und passive Beweglichkeit

Die aktive Mobilisierung unterscheidet sich insofern vom normalen Stretching, dass Positionen am Rande der eigenen Beweglichkeit zum einen immer aus eigener Kraft eingenommen werden, also möglichst ohne Unterstützung durch einen Gegenstand, die Schwerkraft oder einen Partner. Zum anderen ist es unnötig, die Positionen über mehr als ein paar Sekunden zu halten. Ziel ist es nicht, die Muskulatur durch dauerhaftes Dehnen zu lockern, sondern die für die Bewegung zuständigen Arbeitsmuskeln über den Widerstand ihres Gegenspielers aufzutrainieren.

Das hat den Vorteil, die aktive Beweglichkeit zu verbessern, die beim Klettern besonders wichtig ist. Im Normalfall ist es so, dass der passive Bewegungsspielraum deutlich größer als der aktive ausfällt. Das heißt, der Körper kann mit Hilfe von Außen in eine Position gebracht werden, die er aus eigener Kraft nicht erreichen könnte. Bei klassischen Dehnübungen wie dem Spagat ist das der Fall. Hier sorgt das eigene Gewicht und damit die Schwerkraft für die Öffnung des Hüftgelenks. Auch wenn sich die Beweglichkeit auf diesem Weg zweifellos verbessern lässt, gibt es ein Manko: An der Wand zählt in erster Linie, welche Gelenksstellungen und Körperpositionen ich ohne Hilfe erreichen kann. Was passiv möglich ist, bleibt zweitrangig.

Vorteile gegenüber dem normalen Dehnprogramm

Um diese Fähigkeit zu verbessern, bewege ich mich beim aktiven Mobilisieren am Rand meiner eigenen Beweglichkeit – im Idealfall sogar über den gesamten zu diesem Zeitpunkt möglichen Bewegungsradius des Gelenks. Dadurch schlage ich mehrere Fliegen mit einer Klappe: Einerseits wird die Arbeitsmuskulatur gekräftigt, weil sie gegen den Widerstand des Gegenspielers, der Gelenkkapseln und der Sehnen arbeiten muss. Andererseits werden eben diese (und das für die Bewegungssteuerung zuständige Nervensystem) daran gewöhnt, einen größeren Bewegungsspielraum zuzulassen, wie es auch beim Dehnen der Fall ist. Dazu kommt, dass der Körper lernt, diesen erweiterten Bewegungsradius zu kontrollieren. Reines Stretching kann mit der Zeit zu Problemen führen, wenn sich ausschließlich der passive Spielraum verbessert. Wird die Differenz zwischen aktiver und passiver Beweglichkeit zu groß, kann das Verletzungen begünstigen, weil die Gelenksstabilität leidet. Deshalb sollte aktives Beweglichkeitstraining auch von denen absolviert werden, die dem Dehnen ansonsten offen gegenüberstehen.

Bewegen statt aushalten: Mehr Beweglichkeit für Dehnmuffel

Klassische Dehnübungen wie die Vorbeuge können auch zur aktiven Mobilisierung eingesetzt werden. Langes Halten ist dafür nicht nötig.

Für mich hat das aktive Beweglichkeitstraining aber noch einen weiteren Vorteil: Weil ich keinen Spaß daran habe, mich minutenlang zu stretchen, habe ich mein Dehnprogramm in der Vergangenheit immer wieder vorschnell über Bord geworfen. Zu langweilig, zu unangenehm. Im Gegensatz dazu steht mein aktives Mobilitätstraining, das eher wie ein Kraftaufbauprogramm funktioniert. Genau genommen ist es das ja auch.

Pro Übungen absolviere ich deshalb zwei bis drei Sätze mit etwa zwölf Wiederholungen. Als Wiederholung gilt eine vollständige Bewegung – sei es, das Anheben des Beins bis zum Anschlag, eine Rotation des Arms oder eine Berührung der Zehen in der Vorbeuge. Weil die Belastungsintensität eher gering ausfällt, halte ich die Pausen zwischen Sätzen kürzer und kombiniere Übungen miteinander. Zum Beispiel ist es kein Problem, etwas für die Schulterbeweglichkeit zu tun und direkt im Anschluss einen Satz für die Hüfte zu absolvieren. Anstatt mich also über ein oder zwei Minuten permanentem Dehnschmerz auszusetzen und auf die Uhr zu schauen, wann ich mich wieder bewegen darf, gibt es ein kurzes Trainingsprogramm, bei dem dauerhaftes Ertragen und Warten keine Rolle spielt. Ich bleibe in Bewegung und habe im Anschluss das gute Gefühl, wirklich ein wenig trainiert zu haben. Zeiteffizient ist diese Herangehensweise noch dazu und lässt sich ohne Probleme auch beim heimischen Fernsehabend abhaken. Mir fällt es so leichter, regelmäßig etwas für die Beweglichkeit zu tun.

Eine kleine Auswahl an Übungen für Hüfte, Schultern und die Flexibilität im Bereich der Beine findest du im oben verlinkten Video (Übungserklärungen beginnen bei Minute 3:20).

P.S: Schwung ja, aber nur in Maßen

Beachten solltest du, dass Schwung beim aktiven Mobilisieren keine Rolle spielt. Jede Bewegung muss kontrolliert ausgeführt werden. Gegen ein leichtes Wippen in der Endposition ist nichts einzuwenden. Übertreiben solltest du es aber nicht. Ansonsten ist ein Muskelkater vorprogrammiert.

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