Ich bin ein Zögling des Hallenboulderns, habe diesen Sport also am Plastik kennen und schätzen gelernt. Und als solcher bin ich es gewohnt, Griffe und Tritte in bunten Farben auf einer weißen Wand vorzufinden und eigentlich nie Probleme mit der Suche nach eben jenen zu haben. Noch dazu gibt es in meinem gewohnten Umfeld ein perfektes Absprunggelände mit einer geräumigen Weichbodenmatte, die Schlimmeres verhindert, sollte ich doch einmal nicht auf Anhieb die Lösung für ein Problem finden. Auch nach draußen zieht es mich mittlerweile häufiger, wo die Bedingungen naturgemäß nicht immer ideal sind. Dass das eine etwas andere Herangehensweise nötig macht und es gruselig werden kann, wenn man darauf nicht achtet, wurde mir erst vor wenigen Tagen wieder auf unangenehme Art ins Gedächtnis gerufen. Und es wäre vermeidbar gewesen.
Ausflug an den Sandstein um die Ecke
In der näheren Umgebung von Erfurt gibt es kein Klettergebiet von Rang und Namen. Deshalb ist man es hier gewohnt, entweder weitere Strecken zu fahren oder sich mit wenig zufriedenzugeben. Zweiteres führt dazu, dass wir hin und wieder eine Tour nach Jena in die Rabenschüssel machen. Dort hat die Saale sich über die Jahrhunderte durch das Gestein gefressen und einige meterhohe Sandsteinwände hinterlassen. Die daran vorhandenen Strukturen reichen von Slopern über Löcher bis zu Leisten und machen eine relativ abwechslungsreiche Boulderei möglich. Die Qualität des Felsens ist allerdings gewöhnungsbedürftig. Wer nicht gut putzt, muss mit Griffen voller Sand leben. Teilweise bröselt das Material förmlich unter den Fingern weg.
Trotz der mäßigen Bedingungen gibt es dort einen Boulder, der mich schon im vergangenen Jahr gereizt hat, auf den ich aber aufgrund der Höhe zwischen 5 bis 6 Metern verzichtet habe. Klettertechnische Schwierigkeiten braucht man nicht zu erwarten. Auf breite Bänder für Hände und Füße folgen tiefe Löcher und am Ende weitere Bänder, die einen bequemen Ausstieg möglich machen. Diese kletterfreundliche Struktur vor Augen und etwas mehr Erfahrung im Rücken war ich vergangenes Wochenende also ziemlich zuversichtlich, die Route ohne größere Probleme durchsteigen zu können. Leider lag ich damit falsch, auch wenn es wirklich vielversprechend begann.
Willkommen in der Sandgrube
Den noch recht athletischen – weil liegenden – Start konnte ich nach ein paar Probeläufen sicher hinter mich bringen und die ersten Meter dank der guten Griffe und Tritte problemlos absolvieren. Dann kam das vorletzte Band, bei dem ich den ersten Versuch eines Ausstiegs im vergangenen Jahr noch abgebrochen hatte, weil mir die Griffe zu sandig wurden. Dieses Mal sollte das anders sein. Ich ignorierte die feinen Körner also und angelte nach dem nächsten und übernächsten Griff, die beide relativ sauber waren.
Kurz vor dem Ausstieg wartete dann die Überraschung. Während die rechte Hand noch ausreichend Halt fand, landete die Linke direkt in einer regelrechten Sandgrube. An Festhalten war da nicht zu denken, der nächste gute Griff weiter oben aber deutlich außer Reichweite. Weil ich auch nach etwas Herumsuchen immer noch keinen guten Halt gefunden hatte und die andere Hand langsam müde und schwitzig wurde, kam Unruhe auf. Ein Blick nach unten machte das nicht besser. Statt der gewohnten unendlichen Matte lag da nur ein einziges, knapp einen Quadratmeter großes Crashpad, das in einer Höhe von etwa 5 Metern kein allzu großes Ziel mehr abgibt. Abspringen war also eine eher schlechte Option.
Abklettern kam ebenfalls nicht in Frage. Den letzten guten Griff hatte ich in etwa auf Hüftehöhe und konnte ihn aus meiner Position nicht mehr sehen. Auf das Risiko, ihn zu ertasten und dann ohne gute Sicht nach unten abzusteigen, wollte ich lieber verzichten. Als letzter Ausweg blieben ein paar flache und dünnwandige Löcher unterhalb der nächsten Sandsteinplatte, die ich mit einem Schulterzug belasten konnte, um die Füße höher zu stellen und mich über die Kante des Blocks stützen zu können. Einladend sahen diese Griffe ob der miesen Gesteinsqualität nicht aus und entpuppten sich auch als brüchig. Schon nachdem ich leichten Druck mit den Fingern aufbaute, begannen die Kanten der Tasche abzusplittern. Abhalten konnte mich das jedoch nicht mehr. Zum Glück blieb es bei leichtem Gebrösel, wodurch ich ein paar Sekunden später tatsächlich auf einem sicheren Plateau einen halben Meter unterhalb der obersten Sandsteinplatte stand.
Vermeidbare Fehler
Die übliche Euphorie, sich selbst überwunden und eine kribbelige Situation gemeistert zu haben, blieb dann aber aus. Warum? Weil ich sofort wusste, dass diese gesamte Aktion eine Dummheit und nur mit Glück gut ausgegangen war. Dabei ist nicht die Idee, auf einen so hohen Block zu steigen, per se dämlich, sondern die Umsetzung meinerseits zumindest naiv gewesen. Eine kurze Fehleranalyse gefällig? Bitte sehr:
Die vielleicht größte Blödheit war, dass ich nicht genügend Pads ausgelegt hatte, um einen potenziellen Sturz absichern zu können, weil ich mich von der vermeintlich einfachen Kletterei hatte täuschen lassen. Wäre der Griff in meiner Hand gebrochen, hätte ich das Crashpad unter mir wohl nur mit Glück getroffen. Niedrige Schwierigkeit hin oder her – zu einem hohen Boulder gehören ein paar Pads am Boden. Zweitens war ich dumm genug, mir den Ausstieg vorher nicht anzusehen. Ich wusste zwar, dass die Rabenschüssel sehr sandig sein kann, auf das, was tatsächlich auf mich wartete, war ich jedoch nicht vorbereitet. Völlig unnötig. Direkt neben der Route gibt es eine natürliche Steintreppe, über die man zum Ausstieg gelangt. Ich hätte mir also schon einmal von oben ein Bild machen können, wie die letzten Meter aussehen – und dann vermutlich die Bürste geschwungen.
Punkt 3 ist, dass ich mir im Kopf keinen Plan zurechtgelegt hatte. Weder für den Ausstieg noch für den Fall, dass das Ganze nicht aufgeht. Dabei wäre das die beste Variante gewesen, um meine Probleme von vornherein zu beseitigen. Als ich hektisch nach einem Griff gesucht habe, hätte ich meinen Fuß nur ein paar Handbreit weiter oben setzen müssen und wäre dadurch auf ein sehr breites Band gelangt, auf dem ich die Route ohne weitere Schwierigkeiten nach links hätte verlassen können. Dass es diese Option überhaupt gab, war mir in der Situation nicht bewusst, weil ich vor dem Einstieg gar nicht auf die Idee gekommen war, nach einem derartigen Plan B Ausschau zu halten. Mir war nicht einmal mehr klar, dass dieses Band überhaupt da ist, obwohl ich es nur Augenblicke zuvor gegriffen hatte.
Und da liegt ein weiteres wichtiges Problem. Weil ich es von der Halle gewohnt bin, Trittmöglichkeiten in bunten Farben präsentiert zu bekommen, lag mein Fokus vor dem Einstieg auf der Suche nach möglichen Griffen, ohne mir zu überlegen, wo ich die Füße setzen kann. Wäre es anders gewesen, hätte ich am Ende sofort sicher und höher auf den Füßen gestanden. Das wiederum hätte deutlich bessere Griffe in Reichweite gebracht und den Gruselfaktor um einiges reduziert.
Vorbereitung ist alles
Bei allem Hätte, Müsste und Könnte bleibt am Ende eine Erkenntnis: Aus Fehlern lernt man. Für mich bedeutet das, dass ich mich mir in Zukunft zumindest bei hohen Problemen nach Möglichkeit die Ausstiege anschaue, diese – wenn nötig – putze, hohe Boulder nur mit einer entsprechenden Anzahl Pads angehe und mir von vornherein überlege, wo ich meine Füße stellen kann, wenn der Ausstieg näherkommt. Ergibt sich die Möglichkeit, wird außerdem ein Plan B erarbeitet, der einen einfacheren Ausweg eröffnet, ohne das rettende Crashpad in Anspruch nehmen zu müssen. Derart stark auf mein Glück will ich mich in Zukunft jedenfalls nicht mehr verlassen müssen.
Euch möchte ich das gleiche ans Herz legen. Schaut euch besonders die letzten Meter sehr genau an und plant eure Züge. Gerade, wenn man in der Halle groß geworden ist und nur wenig Erfahrung am Fels hat, sollte man sich gut auf das Abenteuer hoher Boulder vorbereiten.
Ein Gedanke zu „Draußen bouldern: Planung ist alles“