Training am Griffbrett: auch für Anfänger sinnvoll?

Die Frage, ab wann es sinnvoll ist, ans Griffbrett zu gehen, sorgt unter Kletterern immer wieder für Diskussionen. Kürzlich bin ich auf der Facebook-Seite von Lattice auf einen Beitrag zum Thema Fingertraining und Verletzungen gestoßen, der den üblichen Argumenten einen weiteren spannenden Ansatz hinzufügt. Der Text stammt vom Physiotherapeuten Sam Radcliffe, der Hangboarding als sicheren Weg ansieht, Fingerkraft aufzubauen, ohne Überlastungen zu riskieren.

Training am Griffbrett: wenig Risiko bei guten Ergebnissen

Radcliffes Ansatz ist einfach und logisch nachvollziehbar: Wenn Kletterer und Boulderer stärker werden wollen, neigen sie dazu, an der Wand mehr Einsatz zu zeigen und dabei früher oder später über das Ziel hinauszuschießen. Weil auf eine Verletzung oftmals eine Trainingspause folgt, gehen die bis dahin gemachten Fortschritte wieder verloren, was diesen Ansatz wenig Erfolg versprechend macht. Sein Gegenvorschlag: Fingertraining am Griffbrett.

Anders als beim Training an der Wand lässt sich die Belastung hier mit entsprechenden Protokollen graduell erhöhen. Dadurch werden die Sehnen langsam an die Anforderungen gewöhnt und eine Überlastung weniger wahrscheinlich. Gleichzeitig ist nachgewiesen, dass Übungen am Griffbrett gute Ergebnisse liefern, wenn es um die Steigerung der Fingerkraft geht. Selbst in der Rehabilitation von Fingerverletzungen kommt das Griffbrett mittlerweile zum Einsatz. Klingt nach einer Win-Win-Situation für Kletterer: Sie werden stärker, ohne dabei die Gesundheit ihres wichtigsten Werkzeugs aufs Spiel zu setzen.

Warum auch Anfänger vom Griffbrett profitieren…

Beim Hangboarden gibt es verschiedene Entlastungsmöglichkeiten. Eine ist es, den Fingern mit den Zehenspitzen Gewicht abzunehmen. Die Belastung kann so gut auf die Belastbarkeit abgestimmt werden.

Von einem Kommentator wurde in der Folge sein Unverständnis ausgedrückt, warum Anfängern immer wieder vom Griffbretttraining abgeraten und stattdessen empfohlen wird, erst nach etwa zwei Jahren damit zu beginnen. Schließlich könnten auch sie ihre Sehnen mithilfe der langsam steigenden Belastung sicherer auf die Anforderungen des Kletterns vorbereiten und Verletzungen vermeiden – besonders dann, wenn sie dazu neigen, dynamisch nach Griffen zu schnappen, die sie selbst statisch kaum halten könnten.

Auch dieser Gedanke ist verlockend. Würden Kletterer frühzeitig mit dem Fingertraining beginnen, könnten sie später von belastbareren Sehnen und zusätzlicher Kraft profitieren. Zudem ist das Training unter kontrollierten Bedingungen dem wilden Schnappen an der Kletterwand mit den einhergehenden Belastungsspitzen vorzuziehen. Diese Argumentation findet durchaus auch bei Tom Randall und Ollie Torr an, den beiden Köpfen hinter Lattice, Anklang. Liegen also alle falsch, die für einen späteren Start ins Fingertraining plädieren?

…und warum es trotzdem ein Fehler sein kann.

Meiner Meinung nach: nur unter bestimmten Bedingen. Obwohl die Argumente für einen frühen Einstieg ins Fingerboarden gut sind, gehen sie teilweise an der Realität vorbei. Natürlich ist es für die Sehnen besser, sie langsam größeren Belastungen auszusetzen und ihnen damit Zeit zur Anpassung zu geben. Heißt das aber, dass hohe Belastungsspitzen keine Rolle mehr im Training spielen, wenn man frühzeitig mit dem Fingertraining beginnt? Ich denke eher nicht.

Tatsächlich ist es doch so, dass Anfänger auch weiterhin viel Zeit an der Kletterwand verbringen müssen, um die Effizienz ihrer Bewegungen zu verbessern und das Technikrepertoire zu erweitern. Folglich wird es auch immer wieder Situationen geben, in denen die Finger höheren Belastungsspitzen ausgesetzt sind, weil eben nicht jede Bewegung optimal ausgeführt wird.

Abhängig vom Kletterstil kann das Risiko von Verletzungen durch das Griffbretttraining dann sogar noch steigen. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass diejenigen, die ohnehin schon mit zu viel Schwung und geringer Präzision arbeiten, an ihrer Herangehensweise nichts ändern. Stattdessen wird die gleiche Strategie auf schwerere Routen übertragen, in denen man mit ähnlich halb kontrollierten Bewegungen nach immer kleineren Griffen schnappt. Die zusätzliche Kraft macht es möglich. Für die Sehnen, die sich langsamer anpassen als die Muskeln, ist das allerdings Gift.

Gibt es Anfänger, für die Fingerboarden geeignet sein könnte?

Es gibt also gute Gründe, die für und gegen ein Fingertraining für Einsteiger sprechen. Welcher Weg der richtige ist, hängt aber wie so oft von der jeweiligen Person ab – genauer gesagt vom Kletterstil. Wer bereits sehr früh ein gutes Bewegungsgefühl entwickelt hat und Schwung präzise einsetzt, kann sicher von zusätzlichem leichten Training am Griffbrett profitieren. Wer in diesem Bereich noch Defizite hat, muss sich allerdings auf die Entwicklung einer besseren Technik konzentrieren.

Bedenken sollte man außerdem, dass der Eindruck, zu wenig Fingerkraft zu haben, mitunter trügt. Kann man beispielsweise einen Griff nach einem dynamischen Zug nicht halten, muss das nicht zwangsweise mit zu schwachen Fingern zusammenhängen. Genauso gut können Schulterkraft- und Körperspannungsdefizite oder schlechte Koordination der Grund sein, warum man den Griff verliert. Sie sind in vielen Bouldern ähnlich wichtig wie ein starker Griff und können tatsächlich von Tag 1 an verbessert werden – ganz ohne, dass das Verletzungsrisiko steigt.

Den eingangs erwähnten Artikel findest du übrigens hier: https://www.facebook.com/latticetraining/posts/627333024265692

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