Erfahrene Kletterer mit hohem Leistungsanspruch gehen aktuell durch eine schwierige Phase. Zum einen fällt es schwer, sich damit zu arrangieren, dass man dank der Hallenschließungen auf einen zentralen Bestandteil des Alltags teilweise oder ganz verzichten muss. Zum anderen steht man vor der Herausforderung, Wege zu finden, anderweitig in Form zu bleiben, wenn es nach der langen Kletterpause kein böses Erwachen geben soll. Zuletzt dürfte sich vielen permanent die Frage aufdrängen, ob es überhaupt möglich ist, die Form zu halten. Garantien dafür gibt es leider nicht. Fakt ist aber, dass man es ein gutes Stück selbst in der Hand hat, wie der Neustart ins Klettern verläuft.
Dass du als Kletterer die Hallenpause auch für das Training nutzen kannst, habe ich in vorherigen Artikeln bereits erklärt. Was für Anfänger und Fortgeschrittene gilt, ist natürlich auch für Profis richtig. Mit „Profi“ meine ich in diesem Fall keine Berufsathleten, sondern Hobbykletterer, die seit mehreren Jahren dabei sind und vor der Pause gezielt an ihrer Leistung gefeilt haben. Anders als für Leistungssportler, denen sich in diesen Zeiten mehr Möglichkeiten bieten, ein annähernd normales Training umzusetzen, gestaltet sich die Situation für Freizeitkletterer schwierig. An der Notwendigkeit, aktiv zu bleiben, um die gewohnte Leistung zu bringen, ändert sich jedoch nichts.
Wie du trainieren kannst
Ideal wäre es natürlich, weiterhin regelmäßig klettern zu können – sei es am Fels oder an einer Heimwand. Weil ersteres schon witterungsbedingt schwierig sein kann, ist letzteres die beste Option, um kletternd in Form zu bleiben. Nachdem 2020 das Jahr der Selbstbauer war, kennst du möglicherweise jemanden, der eine kleine Trainingswand sein Eigen nennt. Eventuell hast du sogar den Platz und das nötige Kleingeld, um dir selbst eine Wand in die Wohnung oder Garage zu stellen. Als Trainingsmöglichkeit kann diese auch nach dem Lockdown noch wertvoll sein. Sie ist ideal, um schnelle Sessions umzusetzen, die sonst aufgrund von Zeitmangel ausfallen müssten. Außerdem fällt es leichter, den Fokus auf dem Training zu halten. Schließlich ist die nächste Ablenkung in der Halle nie weit weg.
Training an der Heimwand als Hallenersatz
Sollte dir eine Heimwand zur Verfügung stehen, musst du dich vermutlich etwas umgewöhnen. Weil Heimwände normalerweise mit eher schlechten Griffen bestückt sind und sich die Schwierigkeit auf wenige Züge konzentriert, ist das Training hier physisch anspruchsvoller. Bist du ausschließlich abwechslungsreicheres Hallenklettern gewohnt, fährst du gut damit, die Sessions anfangs kürzer zu halten. Möglicherweise werden auch längere Pausen zwischen den Einheiten nötig sein, um Überlastungserscheinungen zu vermeiden.
Solltest du einen strukturierten Trainingsplan haben, der Übungen an der Wand einschließt, kannst du diesen an die heimische Kletterwand mitnehmen. Selbst Kraftausdauereinheiten lassen sich mit etwas Kreativität umsetzen. Verfolgst du aktuell keinen Plan, wäre mein Vorschlag, die Gelegenheit für den Ausbau deiner Maximalkraft zu nutzen. Dazu ist das Boardtraining von Natur aus gut geeignet. Es genügt schon, während einer Session einige Boulder zu klettern, deren Einzelzüge dich ans Limit bringen.
Natürlich trainiert es sich leichter, wenn du ein konkretes Ziel vor Augen hast. Definiere deshalb Langzeitprojekte, die dir noch nicht gelingen, welche du aber in den kommenden Wochen knacken möchtest. Decken sie Schwachstellen deines Kletterkönnens ab, maximierst du den Trainingseffekt sogar noch weiter. Diese Projekte kannst du immer wieder während deiner Sessions einstreuen, sie so machbarer werden lassen und gleichzeitig deine Fortschritte verfolgen. Das steigert die Motivation und hilft am Ball zu bleiben, selbst wenn du ohne Kletterpartner auskommen musst, die dich antreiben.
Krafttraining am Griffbrett
Sind Ausflüge an den Fels genauso wenig wie das Klettern an einer Heimwand eine Option, bleibt als beste Alternative das Griffbrett. Diese Boards sind auch unter normalen Umständen ein beliebtes Tool zum Aufbau der Fingerkraft. Im Lockdown gewinnen sie noch einmal an Wert. Dabei muss es nicht zwingend ein Griffbrett mit einem halben Dutzend unterschiedlicher Griffformen sein. Zur Not kannst du mit nur einer Leiste ein ausreichend forderndes Training realisieren. Wenn nichts anderes geht, ist selbst ein robuster Türrahmen eine Option.
Analog zu meinem Vorschlag, sich an der Heimwand auf maximalkräftige Boulder zu konzentrieren, würde ich dir auch am Griffbrett das Training der Maximalkraft empfehlen – mit einer Einschränkung. Solltest du bisher noch keine Erfahrung mit dem Hangboarden gesammelt haben, eignen sich Repeater besser für den Einstieg. Weil du hier an größeren Griffen trainierst, ist das Risiko von Verletzungen durch Selbstüberschätzung geringer. Trotzdem sind auch sie zum Kraftaufbau geeignet, weil sie das Wachstum der Unterarmmuskulatur anregen.
Bist du bereits hangboarderfahren, bieten sich MaxHangs zum Training der Maximalkraft an. Anders als Repeater zielen sie auf die effizientere Rekrutierung der Muskelfasern ab. Um das zu erreichen, muss die Muskulatur binnen weniger Sekunden an ihr Limit gebracht werden. Üblicherweise trainiert man deshalb mit Belastungszeiten von maximal 15 Sekunden und entsprechend hohen Intensitäten. Um diese zu erzielen, wird an den schlechtest möglichen Griffen oder mit Zusatzgewicht gearbeitet. Deshalb halte ich diese Art des Trainings für Fingerboard-Einsteiger als weniger gut geeignet. Das gilt besonders, wenn Zusatzgewicht eingesetzt oder einarmig gehangen wird, was neben den Fingern auch Schultern und Ellenbogen stark belastet. Nötig wird das, wenn keine ausreichend kleinen Griffe am Board vorhanden sind, um deine Finger schnell genug an die Leistungsgrenze zu bringen.
Wie du das Training strukturierst
Ob du nun mit MaxHangs oder Repeatern trainierst, ein umfangreiches, mehrstündiges Training, wie du es aus der Halle kennst, ist weder nötig noch förderlich. Gerade weil du möglicherweise nur wenig machen kannst, ist der Drang hoch, sich völlig zu plätten. Tatsächlich genügen aber bereits zwei kurze Einheiten in der Woche, um Kraftzuwächse zu erzielen. 3 bis 4 Sätze Repeater oder 2 bis 3 Sätze MaxHangs sind das Maximum für den Einstieg. Erst wenn du deinen Körper an die Belastung gewöhnt hast, solltest du das Volumen etwas erhöhen. Während eines zweimonatigen Trainingszyklus werden so aus 3 Sätzen Repeatern schrittweise 6. Bei MaxHangs arbeitest du dich von minimal 2 auf maximal 5 Sätze hoch.
Das klingt nach wenig. Für die Finger und Unterarme ist diese Art des Trainings aber deutlich belastender als eine normale Klettersession. Stell deshalb sicher, während einer Einheit nicht zu viel zu machen, und achte gleichzeitig darauf, mindestens zwei Tage zwischen zwei Einheiten zu pausieren. Fühlst du dich vor einer anstehenden Session nicht erholt, hast beispielsweise Schmerzen in den Fingern oder im Bereich der Ellenbogen, verschieb diese Einheit um einen weiteren Tag. Falscher Ehrgeiz ist hier fehl am Platz. Wie eine einzelne Trainingseinheit gestaltet sein sollte, erfährst du im oben verlinkten Video. Dort erkläre ich auch die korrekte Technik für Repeater und MaxHangs.
Wichtiger als die gewählte Methode ist für den Erfolg des Trainings die Regelmäßigkeit. Deshalb solltest du mindestens für vier Wochen jede Woche am Board trainieren. Um gleichzeitig einer Gewöhnung vorzubeugen, die deine Fortschritte stagnieren lassen würde, wird es nach etwa acht Wochen Zeit, das Trainingssystem zu wechseln. Wann genau dieser Zeitpunkt gekommen ist, kannst du von deinen Trainingsergebnissen abhängig machen. Merkst du noch Verbesserungen, spricht nichts dagegen, deinen Plan beizubehalten. Sind diese nur noch minimal, spricht das für einen Wechsel. Hast du mit Repeatern gestartet, wäre es nun Zeit, dich an MaxHangs zu versuchen. Oder umgekehrt. Vor dem Start des neuen Zyklus solltest du dir allerdings eine Woche Pause nehmen.
Training abseits der Finger
Fingerkraft zu erhalten oder sogar auszubauen, ist ein wichtiger Teil der Strategie, um als erfahrener Kletterer eine längere Pause unbeschadet zu überstehen. Wie bereits erwähnt kann man aber auch darüber hinaus einiges tun. Weil die Kletterleistung genauso von der Körperspannung und der Zugkraft abhängt, solltest du an dieser Front ebenfalls aktiv bleiben. Entsprechende Übungen, die größtenteils ohne zusätzliche Geräte durchgeführt werden können, hab ich bereits in einem früheren Artikel vorgestellt. Die darin enthaltenen Empfehlungen zu Trainingshäufigkeit und -anspruch lassen sich auch auf langjährige Kletterer übertragen. Dabei stehen sich das allgemeine Krafttraining und die Arbeit an der Fingerkraft nicht im Weg, du kannst sie sogar in der gleichen Session unterbringen. Der Fingerkraftteil sollte dann aber schon zu Beginn absolviert werden.
Was kannst du nach der Pause erwarten?
An versierten Kletterern mit einem unter normalen Umständen hohen Trainingspensum geht eine lange Pause wie die aktuelle nicht spurlos vorbei. Während die Technik erhalten bleibt und sich möglicherweise einstellende Unsicherheit schnell legt, gibt es auf physischer Seite sicherlich Veränderungen. Verhindern lässt sich das im Grunde nur, wenn man die Hallensessions durch Klettertage am Fels oder an einer Heimwand ersetzt. Krafttraining abseits der Wand kann dem reinen Kraftverlust zwar vorbeugen, die intermuskuläre Koordination, die entscheidend dafür ist, wie gut man das Potenzial ausschöpfen kann, wird aber leiden. Wer nicht klettern kann, muss sich also darauf einstellen, zumindest direkt zum Neustart nicht an die Leistung vor Beginn der Pause anknüpfen zu können.
Bleibt das körperliche Potenzial durch gezieltes und kontinuierliches Training erhalten, ist es aber nur eine Frage von wenigen Wochen, bis dieses Niveau wieder in greifbare Nähe rückt. Wie gut das Ersatztraining wirkt, hängt vom ursprünglichen Trainingsstand und vor allem davon ab, wie viel Erfahrung du zuvor bereits mit Hangboarden und Eigengewichtsübungen gesammelt hast. Kletterer, die bisher als Training nur geklettert sind, haben hier Vorteile und können sich eventuell sogar verbessern. Sind die hier beschriebenen Protokolle und Übungsvorschläge allerdings schon länger fester Bestandteil deines Trainingsalltags, ist es bereits ein Erfolg, wenn du deine Leistung hältst.
Ist dir während der gesamten Hallenschließzeit kein Training möglich gewesen, musst du dich auf einen unbequemen Start einstellen. Tröstlich ist dabei, dass der Muscle Memory-Effekt den Wiederaufbau der verlorenen Kraft beschleunigt.