Hochkommen ist beim Klettern hin und wieder nur die halbe Miete. Hat man einmal den Ausstieg eines Boulders erreicht, fangen die Probleme manchmal erst an – zum Beispiel, weil der Schrauber oder Mutter Natur vergessen hat, freundliche Ausstiegshenkel anzubringen. Häufig ist die Lösung für solche Probleme ein Mantle-Zug. Das erfordert gelegentlich ein wenig Nervenstärke, in jedem Fall aber die richtige Technik.
Schwimmbad-Feeling an der Boulderwand
Ein Mantle unterscheidet sich vom normalen Klettern deutlich. Wo ansonsten vor allem gezogen wird, muss beim Mantle geschoben werden. Gut vergleichen lässt sich die Bewegung mit dem Ausstieg aus einem Schwimmbecken. Fehlt eine Leiter, greift man den Beckenrand, drückt sich nach oben und versucht, den Körperschwerpunkt über die Hände zu bringen. Anschließend geht ein Fuß nach oben und man ist raus.
Was beim Baden gut funktioniert, sorgt beim Klettern eher für Verwirrung. Wenn Ausstiegsprobleme selten oder nie zu ihrem Klettermenü gehören, tun sich selbst erfahrene Kletterer mit dem Mantlen schwer. Meist wird dann auf eine Lösungsstrategie zurückgegriffen, die beim normalen Klettern hilfreich sein kann, beim Mantle aber in die Sackgasse führt, den Ausstieg deutlich erschwert und noch dazu gruseliger werden lässt: Stellt sich heraus, dass die Griffe rarer werden, wechselt der Kletterer in den Suchmodus. Die Hände patschen nach Halt forschend herum und wandern dabei immer weiter vom Körper weg. Man lehnt sich gegen die Wand, liegt irgendwann halb auf dem Block und kann gefühlt weder vor noch zurück. Was bleibt, ist sich mühsam nach oben zu robben. Mit der richtigen Herangehensweise geht es jedoch auch eleganter, nervenschonender und sicherer.
Mantle in Schritten
Schritt 1: Gute Tritte sind die halbe Miete
Mantle kommen in verschiedensten Varianten vor. Die Grundproblematik bleibt aber immer die gleiche. Um den Mantle möglichst effizient zu lösen, muss man aus dem Ziehen in den Stütz kommen. Am leichtesten ist das, wenn man die Möglichkeit hat, den Körperschwerpunkt mit den Beinen weit nach oben zu bringen. Die Konzentration liegt bei vielen Mantlen deshalb nicht so sehr auf den Händen – hier reicht es, wenn du genug Halt hast, um nicht abzurutschen – , sondern erst einmal auf der Fußarbeit. Nachdem du einen Griff in der Nähe des Ausstiegs gefunden hast, suchst du dir einen hohen Tritt. Je nachdem, wie gut deine Griffe sind, kann dieser auf Hüfthöhe oder etwas darunter liegen. Idealerweise liegt er zudem nah am Körper, was es leichter macht, sich anschließend aus den Beinen nach oben zu schieben.
Optional: Gibt es keinen Tritt, auf den diese Beschreibung passt, kann es sein, dass du noch höher antreten musst – mit einem Hook auf Handhöhe. Dann hilft der Fuß, den Körperschwerpunkt nach oben zu ziehen und kann in der Folge genutzt werden, um den Körper über die Kante zu schieben. Das kann sich natürlich etwas gruselig anfühlen, weil man horizontal in der Wand hängt. Gerade draußen ist ein Spotter dann sehr willkommen. Wie ein solcher Hook-Mantle aussehen kann, zeigt der Bleau-Klassiker Graviton:
Schritt 2: Höhe gewinnen und durchstützen
Anschließend beginnst du mit dem höheren Fuß zu schieben (oder zu ziehen) und so den Körper so weit nach oben zu bringen, wie es nur möglich ist, ohne mit den Händen abzurutschen. An diesem Punkt muss aus dem bisherigen Ziehen mit den Händen ein Schieben werden. Dazu wechselst du mit einer der beiden Hände in den Stütz. Häufig ist das am leichtesten, wenn du die Hand leicht auf dem Griff drehst, damit sie seitlich aufliegt. Wird der Ellenbogen gleichzeitig nach außen rotiert, kann das das Durchstützen weiter erleichtern. Der gedrehten Hand kommt im Anschluss die Aufgabe zu, dich weiter nach oben zu befördern und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass du nicht aus der Wand kippst. Fast gewonnen hast du, wenn der stützende Arm durchgestreckt ist.
Schritt 3: Rüber und raus
Im letzten Part geht es darum, die Hüfte über die Kante zu bekommen. Ist ein Arm durchgestützt, fällt es meist leicht, auch mit dem zweiten in den Stütz zu gehen. Zu diesem Zeitpunkt sollte auch ein Fuß nach oben genommen werden, sofern er nicht schon zuvor für einen Hook genutzt wurde. Auf diesen wird dann der Körperschwerpunkt verlagert, bis man ein neues Gleichgewicht gefunden hat. Dann kann der zweite Fuß nachgeholt werden. Eventuell sind zwischenzeitlich Griffe in Reichweite gekommen, die zuvor zu weit entfernt lagen. Diese dann zu nutzen, macht natürlich Sinn.
Kein Mantle ist wie der andere
Auch wenn die beschriebene Methode in vielen Fällen funktioniert, muss klar sein, dass nicht jeder Mantle gleich ist. Ist der eine beispielsweise mit langsamen Bewegungen gut zu lösen, kann es bei einem anderen leichter – und manchmal sogar nötig sein, Schwung einzusetzen. Gibt es beispielsweise keine ausreichend hohen Tritte und ist nicht an einen Hook zu denken, kannst du auch in den Stütz springen. Dabei holst du Schwung mit der Hüfte, stößt dich mit den Füßen ab, während du gleichzeitig mit den Armen anreißt und in einer Bewegung auf beiden Seiten durchstützt. Das erinnert dann an einen Muscle-up, bei dem dank der Fußunterstützung weniger Kraft im Spiel ist. Wird die Bewegung konsequent durchgezogen, ist sie nicht einmal anstrengend. Allerdings muss auch der Kopf mitspielen.
Genauso kann es sein, dass eine Lösung, die bei einem Problem funktioniert, bei einem anderen ähnlichen nicht mehr aufgeht. Schon kleine Unterschiede bei der Griffneigung oder den Abständen von Griffen und Tritten können einen gewaltigen Unterschied machen. Deshalb ist es sinnvoll, zum Beispiel verschiedene Handpositionen zu testen, wenn ein Mantle sich nicht sofort knacken lässt. Drei unterschiedliche Bespiele dafür, wie Mantle in der freien Wildbahn funktionieren können, findest du im oben verlinkten Tutorial-Video.