Es ist ein für viele Kletterer vor wenigen Jahren noch unvorstellbares Problem: Weil in manchen Städten mehr als eine Halle geöffnet ist, haben Einsteiger heute bei der Entscheidung über ihre künftige Boulderheimat die Qual der Wahl. In Großstädten wie Berlin buhlen gleich ein gutes Dutzend Plastiktempel um die Gunst der Kunden. Interessant wird die Frage, welcher der richtige ist, wenn man mit der Idee liebäugelt, sich mit einem Abo für längere Zeit zu binden. Neben Preis und Entfernung sollten dann einige weitere Dinge berücksichtigt werden.
Eine perfekte Trainingsstätte muss einiges bieten – auf und abseits der Matte. Was man für wichtig erachtet, mag dabei auch ein wenig von den persönlichen Vorlieben abhängen. Legt der eine möglicherweise besonderen Wert darauf, nach dem Training duschen zu können, kann der andere ohne guten Kaffee nicht leben. Ein paar Dinge sollte dir eine Halle aber in jedem Fall bieten können, wenn du dort zu einem besseren Kletterer werden möchtest.
#1: Interessante Probleme auch in den unteren Schwierigkeitsgraden
Das Wichtigste ist natürlich die Auswahl an Bouldern. Diese sollten möglichst vielseitig gestaltet sein und auch in den niedrigeren Schwierigkeitsgraden einen gewissen technischen Anspruch haben. Das ist gerade für Anfänger wichtig. Wenn die leichteren Boulder im Großen und Ganzen Leitern sind, bei denen jeder Zug und jeder Griff dem anderen gleicht, leidet die Entwicklung einer guten Technik. Auch Neulingen sollten typische Bewegungen wie das Kreuzen mit den Händen, hohes Antreten oder eingedrehte Körperpositionen abgefordert werden. Selbst einfache dynamische Züge sind kein Tabu, schließlich werden diese später ebenfalls gefragt sein. Das heißt natürlich nicht, dass es keine übermäßig einfachen Boulder geben darf. Auch diese sind nötig, um Bouldererstlingen und Kindern die Möglichkeit zu geben, sich frustfrei auszuprobieren. Dominieren sollten sie aber nicht.
#2: Gute Mischung aus modernen und klassischen Bouldern
Indoor-Bouldern hat sich als Sportart in den vergangenen Jahren massiv entwickelt. Imitierten die Hallen in den Frühtagen das Klettern am Fels, sind zuletzt immer stärker Elemente des Parcours aufgenommen worden. Eine gute Halle berücksichtigt beide Stile. Es sollte also klassisch-kräftige Boulder geben, in denen es vor allem darum geht, kleine Griffe oder große Aufleger (Sloper) zuzupressen und dank ausreichender Körperspannung nicht aus der Wand zu fallen. Genauso dürfen aber auch Sprünge oder An- und Durchläufer nicht fehlen, die den Gleichgewichtssinn, die Dynamik und die koordinativen Fähigkeiten des Kletterers fordern. Wichtig ist das vor allem, wenn du dir vorstellen kannst, später an Wettkämpfen teilzunehmen. Dort werden in der Regel beide Spielarten abgefordert.
Der moderne Routenbau verlangt oftmals Dynamik und gute Koordination. Um solche Boulder zu bewältigen, braucht es Übung.
#3: Große Auswahl an verschiedenen Grifftypen
Zentral für deine Entwicklung als Kletterer ist auch, dass du es mit verschiedensten Griffformen zu tun bekommst. Ob deine Wunschhalle in diesem Punkt gut aufgestellt ist, verrät schon ein kurzer Blick auf die Wände. Gibt es dort Routen mit kleinen und großen Griffen, aus raumgreifenden Volumen, leicht zu haltenden Henkeln, Leisten oder Slopern, ist das eine gute Grundlage für dein Training. Idealerweise dominiert jedoch kein Grifftyp. Schließlich kannst du die Kletterei an der jeweiligen Form nur lernen, wenn du ihr immer wieder an der Wand begegnest.
#4: Wände in verschiedensten Neigungen
Ein häufig mit unserem Sport assoziiertes Bild ist ein Kletterer, der sich durch ein horizontales Dach arbeitet. Das sieht eindrucksvoll aus und macht Spaß. Viele Anfänger werden deshalb von überhängenden Routen magisch angezogen. Bei der Wahl deiner Heimathalle solltest du aber vor allem danach schauen, ob es auch vertikales oder leicht liegendes Gelände (Platten) gibt. Wer im Überhang klettert, wird körperlich stark und entwickelt Techniken, um sich in steilen Routen an der Wand zu halten. An geraden Wänden oder Platten sind diese aber nur bedingt Erfolg versprechend, weil Fußarbeit und Gleichgewichtsverlagerung anders funktionieren. Deshalb sollte die Halle Wandneigungen verschiedenster Art mit jeweils mehreren Quadratmetern Größe vorzuweisen haben.
Ein gutes Zeichen ist es außerdem, wenn die einzelnen Wände nicht übermäßig komplex aufgebaut sind. Es mag auf den ersten Blick interessanter aussehen, aber eine starke Strukturierung nimmt den Schraubern die Freiheit, worunter der Abwechslungsreichtum der Routen leidet. An einer ebenen drei mal drei Meter großen Fläche entstehen in der Regel vielseitigere Boulder als auf einem Wandsegment, das auf gleicher Fläche mit Ecken und mehreren Neigungen aufwartet. Simpler ist in diesem Fall besser.
#5: Wer schraubt – und wie oft?
Apropos Schrauber: Ein gutes Team entscheidet über die Qualität der Boulder. Für Außenstehende ist das natürlich nicht ganz einfach zu beurteilen, ein Blick auf die Social Media-Auftritte der jeweiligen Halle kann aber zumindest ein wenig Aufschluss geben. Interessant ist beispielsweise, ob die Halle Gastschrauber engagiert, um die Stammcrew zu unterstützen. Diese bringen in der Regel viel Erfahrung mit und sorgen für frische Ideen an den Wänden. Das schafft neue Herausforderungen und hilft, den eigenen Kletterstil zu erweitern.
Wichtig ist außerdem, dass regelmäßig umgeschraubt wird. In vielen Hallen ist es mittlerweile üblich, Sektoren im Wochentakt neu einzudecken. Manche Betreiber gehen aufgrund des großen Andrangs sogar dazu über, zwei Mal in der Woche frische Boulder an die Wand zu bringen. Das ist ein gutes Zeichen, weil es zeigt, dass die Halle Wert darauf legt, ihren Gästen etwas zu bieten. Umschraubaktionen sind ein nicht zu unterschätzender Kostenfaktor, den keine gute Kletteranlage scheuen darf.
#6: Griffbrett, Campusboard und Co
Auch wenn du in den ersten Jahren die meiste Zeit an der Boulderwand verbringen wirst, kann vor Abschluss des Abos ein Blick in den Trainingsbereich lohnen. Dort sollte es mindestens ein Campusboard, verschiedene Griffbretter, Ringe, eine Klimmzugstange mit mehr als einem Meter Abstand zur Decke (unter anderem wichtig für Muscle-ups) und Platz für Bodenübungen geben. Wer als erfahrener Kletterer ein vielseitiges Krafttraining absolvieren möchte, das gleichzeitig stark macht und gesund hält, hat mit einer so bestückten Trainingsecke eine gute Grundlage. Freie Gewichte und diverse Gummibänder sind eine gute Erweiterung, im Gegensatz zum Obengenannten aber aus meiner Sicht kein Muss.
Titelbild: Plan B Jena