Sean McColl ist nicht nur ein unheimlich sympathischer Vertreter der Gattung Profikletterer, der Kanadier ist offensichtlich auch für ungewöhnliche Ideen zu haben. Nachdem er Live-Streams von Videospielern gesehen hat, kam ihm die Idee, so etwas auch mal zu machen. Natürlich nicht vor einem Bildschirm hockend, sondern bei seiner Hauptbeschäftigung, dem Klettertraining. Herausgekommen sind zwei anderthalbstündige Videos, in denen Mr. McColl Einblicke in sein Programm, Erfahrungen und ein paar praktische Tipps teilt.
Wer bisher geglaubt hatte, dass Profikletterer ständig nur an coolen Boulderproblemen unterwegs sind, dürfte eine Überraschung erleben. Bouldern und Klettern gehören zwar zum Programm von McColl, es gibt allerdings auch Trainingstage, an denen die Kletterwand nur zum Aufwärmen da ist. Im ersten Video verbringt der Kanadier beinahe die gesamte Zeit am Campusboard und macht sich dort nicht etwa mit weiten dynamischen Zügen platt, sondern arbeitet fast eine halbe Stunde durch schlichtes einarmiges Hängen an seiner Fingerkraft. Eine Hand, Pause, andere Hand – nicht spannend, aber offensichtlich effektiv. Den Kommentar, dass Training ziemlich langweilig sein kann, glaubt man Sean deshalb ohne Weiteres.
Bei der direkt am nächsten Tag veröffentlichten zweiten Trainingseinheit dürfte der Spaßfaktor einiges höher gewesen sein, weil tatsächlich das Bouldern im Mittelpunkt stand. In die Kategorie „Gemütlicher Klettertag mit Freunden“ wäre die Session trotzdem nicht gefallen, da Sean nach dem Aufwärmen 40 bis 50 Boulder in einer Stunde abhaken wollte. Ein reichlich straffes Programm. Beim Stream hat er es dann aber doch nicht so genau genommen und zwischendurch immer wieder erklärt, warum er bestimmte Dinge tut. So gab es weniger Training, dafür aber mehr Infos.
Spannend ist beispielsweise die Aussage, dass er in der Wettkampfvorbereitung nicht versucht, die schwersten Boulder einer Halle zu klettern, sondern lieber unbekannte Probleme angeht, ohne sich diese genau anzusehen. Dadurch schult er sein Vermögen, Bewegungsaufgaben zu lösen, die er so nicht erwartet hat. Im Wettkampf soll ihm das bessere Chancen verschaffen, die Probleme möglichst nach einem oder zwei Versuchen zu schaffen. Um die körperliche und kreative Herausforderung noch zu erhöhen, definiert er außerdem Griffe und Tritte weg oder versucht, einmal geschaffte Boulder auf anderem Weg zu lösen.
Nach dem besten Tipp für (Trainings-)Anfänger gefragt, sagt er, man solle sich unbedingt einen Partner suchen und einen Plan zusammenstellen, den man drei Mal die Woche verfolgt. Dann würden sich schnell Erfolge einstellen. Wer gänzlich neu im Spiel ist, soll hingegen viel klettern, um die Bewegungen zu lernen. Der – besonders an die Herren gerichtete Hinweis – möglichst auf gute Fußarbeit zu achten, darf da natürlich nicht fehlen. Geklettert wird nun mal aus den Beinen und nicht aus den Armen.
Den ersten beiden Streams sollen weitere folgen, wenn die Resonanz stimmt. Mit zwischenzeitlich gut 500 Zuschauern dürfte das wohl der Fall sein. Wann Sean das nächste Mal vor die Kamera tritt, bleibt abzuwarten. Am Wochenende steht erst einmal der Weltcup in Vail an. Gut möglich also, dass er aktuell andere Dinge im Kopf hat.