Schweres Bouldern und Mentalität: Schluss mit dem Gejammer!

Routenbauer brauchen gelegentlich ein dickes Fell. Immer mal wieder bekommt man es mit unzufriedenen Kletterern zu tun, die sich mal mehr, mal weniger diplomatisch über die Kreationen an der Wand beschweren. Bei besonders aufgebrachten Zeitgenossen sind Boulder schon mal „Müll“, „schrecklich“, „geradezu Scheiße.“ Und tatsächlich: Manchmal verhaut sich der Schrauber und kreiert etwas, das hinten und vorn nicht aufgeht. Das passiert selbst den Besten. Oft genug liegt das Problem aber auf der anderen Seite.

Wenn Erwartungen und Realität kollidieren

Routenbau kann ein unglaublich befriedigender Job sein. Es ist eine körperlich anspruchsvolle Arbeit, die ein ordentliches Maß an Kreativität und Bewegungsverständnis erfordert. Bewegungen zu schrauben ist deshalb alles andere als langweilig und eintönig. Besonders spannend wird es aber, wenn Kletterer auf die eigenen Kreationen losgelassen werden. Funktionieren diese dann wie gedacht und sorgen für Erfolgserlebnisse mit entsprechend emotionalen Reaktionen, ist das die Kirsche auf der Torte. Allerdings wandert man hier auf einem schmalen Grad. Denn wirklich emotional wird es erst, wenn sich die Kletterer das Problem erarbeiten müssen, anstatt es im Vorbeigehen abzuhaken. Klappt es dann anders als erhofft nicht, schlägt die Stimmung schnell in Frust um.

Noch schwieriger kann es in Wettkämpfen sein. Treffen ambitionierte Hobbykletterer hier auf Boulder, die nicht ihrem Stil entsprechen, sorgt schnell für schlechte Stimmung. Erst recht, wenn es für eine gute Platzierung darauf ankommt, genau diese Probleme zu knacken. Gespräche zwischen Routenbauern und Athleten können dann verschiedene Richtungen nehmen. Neben entspannten Erörterungen zu Geschmacksfragen – wie etwa zu mehr oder weniger gelungenen Zügen – kommt es immer wieder auch zu Grundsatzdiskussionen. Zum Beispiel darüber, ob bestimmte Boulder überhaupt fair sind, wenn man lang, kurz oder über 30 ist. Zum Teil wird die Kritik dabei spürbar emotional.

Das Problem: Auch wenn sich aufgebrachte Reaktionen bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen lassen, geht es bei diesen Gesprächen nur vordergründig darum, ob etwas fair oder machbar ist. Erst recht, wenn der Boulder erfolgreich geklettert wurde. Die tatsächliche Motivation hinter der Kritik ist häufig eine andere: Der- oder diejenige hat das Problem nicht lösen können und eine Erfahrung gemacht, die mit den eigenen Erwartungen kollidiert. Ursache dafür ist nach Verständnis des Boulderers aber nicht das eigene Können, sondern die unsinnige Kreation des Schraubers.

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Gerade Boulder der neuen Schule werden nicht von jedem begeistert aufgenommen. Kein Wunder, schließlich sind sie von klassischer Kletterei weit entfernt. Allerdings lassen sich auch solche Bewegungen erlernen.

Neue trifft auf alte Schule

Sichtbar wird das besonders schön, wenn alte auf neue Schule trifft. Wer seine ersten Kletterversuche am Fels gemacht hat und sich in klassischer Kletterei wohlfühlt, verflucht den koordinativen Anläufer mit Sprung und liebt den kleingriffigen Leistenkratzer im Überhang. Umgekehrt sieht es nicht anders aus: Für die Hallenkletterer der letzten Jahre stellt ein Anläufer oft eine leichte Übung dar, jenseits der weiten Züge an großen Griffen wird es für viele aber schwierig. Das kann schon mal für ein geknicktes Ego und damit für Unmut sorgen. Die meisten von uns werden es kennen.

Nun sollte man sich aber trotz allen Ärgers die Frage stellen: Bringt es etwas, zum Schrauber zu rennen und Dampf abzulassen? Am Boulder wird dieser mit großer Wahrscheinlichkeit nichts ändern, schon gar nicht während eines laufenden Wettkampfes. Und selbst wenn, wem wäre dann geholfen? Wird ein Problem erleichtert, kann man es vielleicht klettern, bekommt es neue höhere Bewertung, kann man sich damit trösten, dass es nicht der eigenen Liga entspricht. An der grundlegenden Problematik ändert sich jedoch nichts. Man war nicht in der Lage, das ursprüngliche Problem zu klettern. Schlimmer noch: Man wird es auch in Zukunft nicht sein, weil man der Herausforderung aus dem Weg gegangen ist. Das mag kurzfristig für Seelenfrieden sorgen, zukünftiger Frust ist damit aber vorprogrammiert. Denn koordinative Boulder gehören zum modernen Klettern genauso dazu wie Ringband quälende Leistenkratzer. Die Chancen, zu einem späteren Zeitpunkt wieder vor einem ähnlichen Problem zu stehen, sind somit hoch.

Die falschen und die richtigen Fragen

Was also tun? Der konstruktive Umgang mit Misserfolg ist entscheidend. Hier trennen sich die guten Kletterer von denjenigen, die in ihrer Entwicklung irgendwann stehen bleiben. Der Unterschied ist, dass beide zwar angefressen sind, eine Route nicht lösen zu können, sich erstere aber nicht damit zufrieden geben, zu sagen: „Ich komm da nicht hoch, das ist Mist!“ Stattdessen nehmen sie die Herausforderung an und suchen nach Wegen, diese zu meistern. Allein das ist schon fast ein Garant dafür, sich beständig weiterzuentwickeln.

Will man das volle Potenzial entfalten, braucht es aber noch etwas mehr. Man muss auch bereit sein, Lösungen zu versuchen, die man nicht so gut beherrscht. Wer lange tüftelt, um beispielsweise den Läufer statisch zu lösen oder beim Leistenkratzer die schlechtesten Griffe mittels Dynamik auszulassen, vernachlässigt die eigenen Schwächen genauso, wie derjenige, der sich gleich ein anderes Problem sucht. Die Hartnäckigkeit zahlt sich dann zwar irgendwann aus und man hält den Topgriff in der Hand. Die Schwachstelle im Kletterkönnen, die dafür gesorgt hat, dass man überhaupt so lange an dem Problem arbeiten musste, bleibt aber ebenfalls bestehen. Der für einen persönlich angenehmste Weg ist deshalb zumindest im Training nicht der beste Weg.

Besser ist des deshalb, möglichen Frust von Beginn an runterzuschlucken und mit analytischem Blick an die Sache heranzugehen. Die Frage sollte nicht lauten „Was hat der Schrauber falsch gemacht?“, sondern „Was muss ich verbessern, um auch so etwas klettern zu können?“ Hat man die Antwort darauf gefunden, kann die gezielte Arbeit an einer Schwachstelle beginnen. Und das ist immer der schnellste Weg, ein besserer Kletterer zu werden. Sich zu beschweren und zu jammern hingegen hat noch niemanden zu einem stärkeren Athleten – oder angenehmeren Menschen – gemacht.

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