Zum Erfolgsrezept guter Kletterer – und Sportler generell – gehört es, in schwierigen Zeiten Wege zu finden, sich fit zu halten. In den letzten Wochen habe auch ich versucht, das so gut es ging umzusetzen. Um den Hintern von der Couch zu bekommen, setzte ich mir dafür ein konkretes Ziel: Ich wollte die Zeit der Corona-Zwangspause zum Erlernen des einarmigen Klimmzugs nutzen. Ein paar Wochen später habe ich das tatsächlich geschafft. Mein Rezept für den Weg war simpel. Ich habe einfach jeden Tag für den Einarmigen trainiert. Was erst einmal nach einer weniger guten Idee klingt, hat sich als erfolgreicher Ansatz entpuppt. Ganz ohne, dass ich damit meinen Körper überfordert hätte.
Das 5-Minuten-Minimal-Programm
In den letzten Wochen habe ich eine neue Routine in meinem Alltag etabliert. Jeden Tag bin ich für ein paar Minuten an mein Trainingsboard gegangen, habe mich mit einer Handvoll normalen Klimmzügen oder Armkreisen leicht aufgewärmt und zum Abschluss ein kleines Einarm-Training gemacht. Anfangs hieß das, ein bis zwei Uneven-Pullups pro Seite zu absolvieren. Klimmzüge also, bei denen beide Hände auf unterschiedliche hohen Griffen liegen. Nach maximal fünf Minuten war ich damit durch und hatte mein Trainingsminimum für diesen Tag erledigt. An anderen Tagen gab es später noch eine zweite und manchmal auch eine dritte Session – wenn ich genug Muße für weitere Runden Quälerei hatte.
Uneven Pull-ups sind eine gute Basis, um sich an Einarmige heranzuarbeiten. Weil sie auf unterschiedlichen Ebenen liegen, kann der untere Arm den obereren schlechter unterstützen. Folglich muss dieser stärker ziehen. Die für dein einarmigen Klimmzug benötigte Kraft kann so Stück für Stück aufgebaut werden. Wichtig ist allerdings, stetig den Anspruch zu erhöhen. Für mich hieß das, nach ein paar Tagen beim Ablassen auf die Unterstützung der unteren Hand zu verzichten. Ein paar Tage später versuchte ich, den oberen Teil der Aufwärtsbewegung allein mit der Kraft eines Armes zu schaffen. Der andere half nur bei den ersten paar Zentimetern, beim Anziehen der Schulter und Anbeugen des Arms – für mich schon immer der härteste Teil eines Klimmzugs. Um trotzdem über die gesamte Bewegung stärker zu werden, ließ ich mich jedes Mal so langsam wie möglich ab und achtete peinlich genau darauf, auch auf den letzten Zentimetern nicht einfach loszulassen.
Am grundlegenden System habe ich über die Wochen nichts verändert. Es blieb weiterhin bei ein bis zwei Einheiten von ein bis zwei einarmigen Klimmzügen pro Seite pro Tag. Etwa fünf Wochen nach Beginn des Lockdowns war es dann so weit. Die ersten Einarmigen klappten auch ohne Unterstützung der zweiten Hand. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich nur an einem leicht hinterschnittenen Griff an meinem Bord gehangen und musste immer auch mit langsam abrutschenden Fingern kämpfen. Als ich es dann den ersten Einarmigen an einer Klimmzugstange versuchte, war ich überrascht wie einfach es mir fiel, selbst aus dem Hängen anzuziehen. Ziel erreicht.
Der direkte Weg zur Überlastung und Verletzung?
Jeden Tag eine Übung zu trainieren, die am Leistungslimit liegt – kann das gesund sein? Grundsätzlich wird ja davon abgeraten, täglich die gleichen Muskeln und Strukturen stark zu belasten. Und auch ich halte es für denkbar, dass es ein solches Programm auf Dauer zu viel werden könnte. Für mich war das seit dem Start meines Minimalprogramms jedoch nicht der Fall. Grund dafür ist in erster Linie das geringe Volumen. Ein bis zwei Mal Tag am Leistungslimit zu kratzen, ist zwar herausfordernd. Weil es sich aber um sehr kurze Belastungen handelt, hat der Körper keine Probleme, sich bis zum nächsten Mal zu regenerieren.
Wären es deutlich mehr Wiederholungen, sähe die Sache anders aus. Das weiß ich im Zusammenhang mit Einarmigen aus erster Hand. Vor ein paar Jahren habe ich den Fehler gemacht, ein hohes Volumen zu fahren, und mir binnen kurzer Zeit eine Überlastung der Muskelansätze am Ellenbogen eingehandelt. Der einarmige Klimmzug war danach für mich über Monate unmöglich, weil wahnsinnig schmerzhaft. In der Folge habe ich ihn komplett aufgegeben. Bis zum jetzigen Zeitpunkt.
Reicht so wenig tatsächlich aus?
Der Schlüssel ist hier also, so viel wie nötig, aber so wenig wie möglich zu machen. Das wirft gleich die nächste Frage auf: Kann man mit so einem kurzen Programm tatsächlich etwas erreichen?
Allein von meiner eigenen Erfahrung der letzten Wochen ausgehend würde ich das mit Ja beantworten. Trotz des geringen Trainingsumfangs kann ich heute offensichtlich mehr Kraft aufbringen und eine Bewegung ausführen, die mir vor ein paar Wochen noch unmöglich war. Dass tägliches Training funktionieren kann, habe ich schon vor zwei Jahren während einer 30-Tage-Klimmzug-Challenge gemerkt, bei der ich meine Klimmzugleistung deutlich steigern konnte. Allerdings bin ich dabei ein höheres Volumen gefahren – zwischen 50 Klimmzügen am Tag zum Start und 90 am Ende. Die Methoden waren also sehr unterschiedlich. Allerdings hatte zeigte das Klimmzugexperiment damals schnell die bereits erwähnten Nachteile. Aufgrund des hohen Volumens konnte von ausreichender Erholung nicht die Rede sein. Das resultierte in zunehmender Dauerermüdung, weshalb es am Ende der 30 Tage vor allem auf meine Bereitschaft, Schmerzen zu ertragen ankam, um die volle Zeit durchzuziehen.
Aber auch jenseits meiner eigenen Erfahrung gibt es Hinweise darauf, dass selbst kleinste Mengen an Training genügen können, um mehr Kraft aufzubauen oder zumindest das bisher Erreichte zu erhalten, wenn kein anderes Training möglich ist. Ein Beispiel dafür ist das Ergebnis einer Studie mit zehn Gewichthebern, von denen einige über zehn Wochen nur drei Mal wöchentlich eine Wiederholung einer Übung absolvierten. Natürlich mit Gewichten, die an der Grenze des ihnen Möglichen lagen. Zwischenzeitlich zeigten nahezu alle Teilnehmer des Minimalprogramms Kraftzuwächse, auch wenn es nur einigen wenigen gelang, diese über den gesamten Testzeitraum zu halten. Die Forscher folgerten deshalb, dass der Ansatz, mit geringem Volumen und maximaler Intensität zu trainieren, zumindest über einen kürzeren Zeitraum – also zum Beispiel einen Monat – sinnvoll sein kann.
Nicht zu unterschätzen: der Faktor Motivation
In der aktuellen Situation, in der normales Training dank der Schließung der Kletterhallen ohnehin kaum möglich ist, steht die Sinnhaftigkeit aber außer Frage. Etwas ist immer besser als nichts. Und hier kommt der entscheidende Punkt zum Tragen, warum ich mich für diese Variante entschieden haben: Motivation.
Training abseits der Wand ist oft monoton, anstrengend und bietet weniger Erfolgserlebnisse. Bis zum letzten Satz und der letzten Wiederholung alles zu geben, ist deshalb schwer. Erst recht, wenn man das schon seit Wochen macht und noch dazu allein trainieren muss. Irgendwann kommt bei den meisten dann der Tag, an dem man es sich abends auf der Couch gemütlich gemacht hat, plötzlich feststellt, dass heute ja eigentlich ein Training auf dem Plan stand. Mit Blick auf die anstehende einstündige Schinderei entscheidet man dann, dass morgen auch noch ein Tag ist. Das tägliche Training hat da klare Vorteile. Man kann es sich zur Gewohnheit machen, es kostet nicht viel Zeit und es fällt wesentlich leichter, sich zu fünf Minuten Anstrengung zu motivieren als zu 50.
Nicht nur für Einarmige sinnvoll
Natürlich funktioniert dieses Prinzip nicht nur bei einarmigen Klimmzügen. Es lässt sich auf alle möglichen Kraftübungen übertragen. Wenn du also beispielsweise den einarmigen Liegestütz, den normalen Klimmzug oder den normalen Liegestütz lernen willst, ist das alles mit täglichem Training möglich. Wichtig ist einerseits, die für dich passende Vorübung zu finden, und anderseits das richtige Volumen zu wählen. Bei der oder den Vorübungen kommt es natürlich auf deinen Leistungsstand an. Sie sollten für dich machbar, aber so schwer sein, dass dich schon wenige Wiederholungen richtig herausfordern. Als groben Richtwert würde ich sagen: Schaffst du fünf saubere Wiederholungen am Stück, wird es Zeit, den Anspruch zu erhöhen.
Entsprechend sieht es beim Volumen aus. Natürlich dürfen es mehr Wiederholungen am Tag sein, als es bei meinem Training der Einarmigen der Fall war. Selbst zwei bis drei Sets mit 5 Wiederholungen wären denkbar und unter Umständen sogar effektiver. Grundvoraussetzung ist immer, dass dein Körper es schafft, sich von Tag zu Tag zu erholen. Deswegen solltest du dich auch nicht scheuen, den Anspruch und das Volumen wieder etwas zurückzuschrauben, falls du über mehrere Tage merklich erschöpft bist. Zu guter Letzt solltest du im Hinterkopf behalten, dass diese Art des Trainings keine Dauerlösung darstellt. Um ein paar Wochen konzentriert an einem Ziel zu arbeiten oder eine Phase zu überbrücken, in der du nur wenig Zeit fürs Training hast, ist es aber ideal. Nach ein paar Wochen werden sich aber keine Verbesserungen mehr einstellen. Spätestens dann solltest du dein Programm wieder umstellen, um den Körper wieder vor neue Herausforderungen zu stellen und ihn zur Anpassung zu bewegen. Schließlich ist Abwechslung beim Training einer der Schlüssel zum Erfolg.