Dass das Klettern und Bouldern erst in den letzten Jahren so richtig in der Stadt angekommen ist, liegt in dessen Ursprung als Berg- und Natursport begründet. Wo es nichts zum Klettern gibt, finden sich auch weniger Gipfelstürmer. Mit dem Boom von Kletterhallen hat sich das geändert und dürfte vielen die Augen für Klettermöglichkeiten in der Stadt geöffnet haben. Wer einmal vom Fieber gepackt ist, kann nicht anders, als auch an Fassaden nach Griffen und Tritten zu suchen. Schicke Leiste, nette Kante und das taugt doch als Zange, oder? Das sind Gedanken, die mit Sicherheit nicht nur mir beim Spaziergang in der Stadt durch den Kopf gehen. Tatsächlich ist die Idee, auch an Gebäuden die Wände hochzugehen, gar nicht so neu. Urbanes Klettern hat Tradition.
Die Buildering-Szene wächst
Bester Beweis dafür dürfte Alain Robert sein, der als Kletterer bezeichnenderweise nicht für seine Begehungen am Fels, sondern an Fassaden bekannt wurde und mittlerweile einige der höchsten Gebäude der Erde bezwungen hat. Dass er längst nicht der einzige oder gar erste ist, den künstliche Wände reizen, belegt eine kürzlich bei Servus TV ausgestrahlte Dokumentation über die Wiener Buildering-Szene, in der auch wenig bekannte Pioniere des Sports zu Wort kommen – Menschen, die schon vor Jahrzehnten in den Häuserschluchten kletterten. Während die aber noch eine Dom-Spitze zum Wunschziel erklärten, hat das Bouldern den Fokus auf niedrigere Probleme gerichtet und gleichzeitig dank seiner Popularität für reichlich Nachwuchs gesorgt.
In Wien finden deshalb schon seit Jahren Urban Boulder-Cups statt, in denen sich die Freunde des städtischen Kletterns miteinander messen. Die Österreicher sind damit jedoch nicht allein. Auch in Italien gab es schon in den Nullerjahren derartige Wettkämpfe. Ein weiterer Beleg für die Attraktivität der Idee sind die 2006 und 2008 im Ruhrpott abgehaltenen Buildering-Weltmeisterschaften. Tatsächlich kamen dabei trotz der Begrenzung des Teilnehmerfeldes auf wenige Dutzend Männer und Frauen Sportler aus ganz Europa zusammen. Und weil keine satten Preisgelder ausgelobt wurden, kommt als Motivation der Teilnehmer wohl nur der Spaß infrage.
Urban Bouldering: Was ist erlaubt, was sollte man lieber lassen?
Wenn andere es genießen, warum es nicht einmal selbst probieren? Dagegen spricht nichts. Gerade in größeren Städten finden sich zahlreiche Möglichkeiten für das urbane Bouldern. Mauern, Säulen, Kanten und Brücken – die Auswahl ist groß und wird fast nur von der eigenen Kreativität beschränkt – zumal man ja längst nicht nur an Strukturen aus Stein und Beton herumkraxeln kann.
Problematisch ist da schon eher die Frage nach der Legalität. Im Normalfall ist das Klettern in der Stadt auch im durchregulierten Deutschland nicht verboten, was jedoch nicht heißt, dass man einfach so und überall seine Schuhe und seinen Chalkback auspacken sollte. Wer Spuren hinterlässt, sei es Chalk oder Gummi und das Objekt im ungünstigsten Fall beschädigt, handelt sich beinahe garantiert Ärger ein. Deshalb ist es wichtig, genau auszuwählen. Weiß gestrichene Wände sind zum Beispiel tabu, Natursteine, die bereits von Pflanzen bewachsen sind, ebenfalls. Letzteres dient dem Schutz des Objekts und der eigenen Sicherheit, weil Griffe und Tritte schneller den Geist aufgeben, wenn die Fauna erst einmal ihre Wurzeln in den Fels geschlagen hat. Auch von Privatgrundstücken sollte man grundsätzlich die Finger lassen, solange der Besitzer kein OK gegeben hat.
Weniger problematisch ist es, wenn die Kletterei auf öffentlichem Grund stattfindet. Ein bundesweites Gesetz, dass das Klettern hier verbieten würde, gibt es nämlich nicht. Steht das Objekt der Begierde unter Denkmalschutz, ist das Buildern natürlich tabu. Weil man das in vielen Fällen nicht zweifelsfrei wissen kann, würde ich persönlich die Finger von alten Häusern in der Innenstadt lassen und stattdessen Spots suchen, an denen der Publikumsverkehr nicht ganz so stark ist. Schließlich ist das Risiko, sich dann mit unwilligen Zeitgenossen auseinandersetzen zu müssen, deutlich geringer. Gleichzeitig schwindet das Problem, dass man andere mit der Kletterei behindert oder sogar in Gefahr bringt, was ebenfalls Garant für Schwierigkeiten mit Besitzern und Behörden wäre. Wird man trotz aller Vorsichtsmaßnahmen gebeten, aufzuhören, sollte man das tun und gleichzeitig freundlich bleiben. Nur so lässt sich die langfristige Duldung des Urban Climbing durch staatliche Stellen gewährleisten. Und die können bisweilen ziemlich flink sein. Ein Bekannter von mir hat seine Erfahrungen mit dem Buildering wie folgt umschrieben: „Kaum hattest du die ersten Züge gemacht, stand auch schon eine Streife neben dir.“ Mehr als eine Ermahnung gab es allerdings nicht, wie es in solchen Situationen der Normalfall ist.
Wer nicht suchen will, braucht Topos
Auch wenn die Suche nach kletterbaren Spots im städtischen Raum dadurch etwas aufwendig werden kann, ist sie gerade in größeren Städten mit Sicherheit nicht sinnlos. Tatsächlich hat die Szene mittlerweile einige Kletterführer hervorgebracht, in denen ausschließlich Straßennamen statt GPS-Koordinaten zu finden sind. Der vielleicht wichtigste ist der unter dem Namen „Dickes B“ im Geoquest Verlag erschienene Führer für den Raum Berlin. Ähnliches gibt es auch für Mainz und den Raum Halle/Leipzig, wobei es sich hierbei nur um professionelle Veröffentlichungen handelt. Die Zahl kleinerer Sammlungen, die nur in Szenekreisen weitergegeben werden, dürfte um einiges größer sein. Übrigens hat selbst das Tradition: Den ersten bekannten Kletterführer für Gebäude hat Geoffrey Winthrop Young 1900 veröffentlicht. Darin beschrieben er und seine Kameraden Klettertouren, die sie auf dem Universitätsgelände von Cambridge erkundet hatten – ausschließlich bei Nacht und unter Stillschweigen. Schon damals gab es offenbar Zeitgenossen, die diesem Hobby wenig Sympathie entgegen brachten.
Was damals der gedruckte Führer war, leistet manchmal schon das Netz. Seiten, die über Builderspots informieren, gibt es mittlerweile mehrere. Hier eine kleine Auswahl, die ich gern ergänze, sofern ihr weitere gute Anlaufstellen kennt:
http://www.buildering-spots.de/ (Plattform zur Verbreitung neuer Spots und Probleme)
https://www.facebook.com/buildering.muenchen/?fref=ts
http://free-solo.de/ (Seit einigen Monaten down, aber noch nicht offiziell beerdigt)
Ein Gedanke zu „Die Stadt als Spielplatz: Buildern statt Bouldern“