Simond Vertika Soft im Test – Simond, wir müssen reden…

Meine gemeinsame Geschichte mit Simond reicht mittlerweile gut zehn Jahre zurück. Im April 2015 wurde ich beinahe zufällig zum Besitzer eines Vuarde Tech-Slippers. Seitdem begleiten mich die Kletterschuhe aus Chamonix und haben mir gute Dienste geleistet. Über die Jahre wurden die Modelle von Generation zu Generation zuverlässig verbessert und sind mit meinen Ansprüchen mitgewachsen. Und selbst als gefühlt jeder zweite Boulderer seine Schuhe gegen den Scarpa Drago eingetauscht hat, war das Gras auf meiner Seite des Zauns immer noch grün genug, um diesem Trend nicht zu folgen. Mit der Einstellung des Simond Edge Slipper und der gleichzeitigen Einführung des Vertika Soft als Quasi-Nachfolger könnte sich das jetzt aber ändern.

Sucht man aktuell im Online-Shop von Decathlon* nach Kletterschuhen, findet man den Simond Edge Slipper mit etwas Glück noch immer im Sortiment. Der 100-Euro-Schuh wird für knapp 50 Euro stark reduziert angeboten. Die Tage, in denen alle Größen verfügbar waren, sind aber längst vorbei. Wer nicht gerade das Glück hat, eine 34 zu tragen, muss sich also bei anderen Modellen umschauen. Davon hat Simond in den letzten Monaten einige auf den Markt gebracht. Die Vertika-Familie, die ursprünglich aus einem Slipper und einem Klettschuh bestand, umfasst heute vier Modelle: den normalen Vertika und den Vertika Soft, die jeweils in einer Version für Herren und Damen angeboten werden.

Mehr Auswahl für verschiedene Geschmäcker (und Fußformen)

Die Damen-Modelle unterscheiden sich nicht nur farblich, sondern fallen im Mittelfußbereich und an der Ferse etwas schmaler aus. Der Unterschied zwischen dem normalen Vertika und der Soft-Variante liegt hingegen im Fehlen einer Zwischensohle bei letzterem, was den Schuh weicher als das Schwestermodell macht. Der Name sagt es ja bereits. Weil er dadurch stärker für Reibungskletterei geeignet sein sollte, wie man sie im modernen Hallenbouldern alle Nase lang findet, ist er theoretisch die bessere Wahl für Boulderer.

Decathlon selbst nimmt diese Zuordnung nicht explizit vor. Die Produktbilder deuten es aber zumindest an. Auf diesen wird der Vertika beim Seilklettern und der Vertika Soft beim Bouldern in Aktion gezeigt. Nachdem ich den Schuh über ein paar Sessions im Einsatz hatte, muss ich aber leider sagen: Mich hat der Vertika Soft beim Bouldern nicht abgeholt. Vielmehr hat der Schuh in Bereichen geschwächelt, die traditionell Stärken von Simond waren. Das macht ihn für mich trotz des Preises zu einem schwierigen Kandidaten.

Freundlich geschnitten, aber auch bequem?

Wer es mit dem Klettern etwas ernster nimmt, weiß, dass Kletterschuhe nicht immer die bequemste Angelegenheit sind. Damit die Schuhe an der Wand optimal Unterstützung leisten können, müssen sie eng am Fuß anliegen. Manche Kletterer akzeptieren in der Hoffnung auf bessere Performance sogar Schmerzen – obwohl das unnötig ist. Ich persönlich bin vom Simond Edge Slipper extrem verwöhnt, weil der Schuh sich wie eine Socke um meinen Fuß legt. Selbst nagelneue Paare musste ich nie eintragen. Da die früheren Vertika-Modelle etwas schmaler geschnitten waren, hatte ich bei ihnen gelegentlich leichte Druckschmerzen an der kleinen Zehe. Nach ein paar Minuten im Schuh haben sich die jedoch gegeben.

Die Zehenbox des Vertika Soft ist etwas höher beim Edge Slipper. Theoretisch sollte ihn das etwas bequemer machen.

Die gute Nachricht: Beim Vertika Soft habe ich dieses Problem nicht mehr. Der Schuh scheint etwas geräumiger zu sein und flutscht ohne viel Krafteinsatz auf meinen Fuß. Dazu trägt die im Vergleich zum Edge höhere Zehenbox bei, die zusätzlich nur teilgummiert ist. Selbst wenn der Schuh zu Beginn etwas drücken sollte, können sich die Zehen so Platz schaffen, weil das verwendete Obermaterial etwas nachgibt.

Überraschend fand ich allerdings, dass dieses Design den Vertika Soft für mich keineswegs zum Bequemlichkeitswunder macht. Der Schuh gibt beim Laufen und Antreten weit weniger nach, als ich es von einem weichen Modell erwarten würde. Sobald ich auftrete, nimmt die Zehenbox meine Großzehe in die Mangel und der Schuh beginnt zu drücken. Beim Klettern ändert sich daran trotz der Entlastung durch die Hände nichts. Sollen die Zehen nicht beizeiten schmerzen, muss ich deshalb nach ein paar Minuten wieder aus dem Schuh und mir eine Pause gönnen. Für viele Boulderer ist das völlig normal und hängt natürlich stark von der eigenen Fußform ab. Meine Erfahrungen mit Simond-Schuhen waren bisher jedoch andere.

Ist „Soft“ soft genug?

Ich habe es eingangs schon erwähnt: Ich bin von Simond-Schuhen verwöhnt, seit ich den Vuarde Tech für mich entdeckt habe. Dieser Schuh hat – ohne übertreiben zu wollen – meine Art zu klettern verändert. Denn er war der erste Schuh, in dem ich ein wirklich gutes Trittgefühl hatte und erspüren konnte, was sich unter meinem Fuß abspielt. Bei späteren Modellen war das nicht anders – bis jetzt. Denn gerade im Bereich der Zehen ist die Sohle des Vertika Soft gar nicht so soft, wie der Name es verspricht. Eher im Gegenteil: Beim Antreten bleibt die Spitze des Schuhs steif und geht kaum mit dem Fuß mit. Das entlastet die Zehen, geht aber auf Kosten des Feingefühls. Wo ich früher Nuancen bei der Fußposition erspüren konnte, merke ich hier: nichts. Ich spüre zwar, dass ich auf einem Tritt stehe, wie gut der Halt tatsächlich ist, fühle ich aber nicht.

Anstatt also zu wissen, dass der Schuh hält, wenn ich mein Gewicht auf den Tritt verlagere, muss ich einfach darauf vertrauen. Und auch wenn das dank einer hochwertigen Vibram XS Grip-Sohle sehr wahrscheinlich ist, fühle ich mich wegen des mangelnden Feedbacks nie ganz sicher. Gerade auf schlechten, weil glatten oder abschüssigen Tritten, kann es dann sein, dass ich weniger Gewicht auf die Füße lege, als ich müsste, um effizient zu klettern.

Als weicher Schuh sollte der Vertika Soft mit seiner Vibram XS Grip-Sohle auf Volumen glänzen. Aber obwohl er nicht rutscht, hinterlässt das schwammige Trittgefühl bei mir einen durchwachsenen Eindruck. Für Reibungskletterei ist der Edge Slipper meine bevorzugte Wahl.

Auf manchen Tritten deutlich besser

Zugegebenermaßen hat die steife Spitze auch Vorteile, denn sie bietet den Zehen gute Unterstützung, wenn die Tritte wirklich klein werden. Auf Monospaxen habe ich mit dem Vertika Soft weniger Probleme zu stehen als mit dem Edge Slipper. Es braucht einfach weniger Kraft im Fuß. Aber auch hier spüre ich den Tritt an sich nicht und muss darauf vertrauen, dass der Schuh hält.

Damit kommen wir zum Elefanten im Raum: Wenn der Vertika Soft so steif ist, dass er auf kleinen Tritten glänzt, wie schlägt er sich dann auf Volumen, wo eine flexible Sohle Trumpf ist? Leider alles andere als optimal. Die Vibram-Sohle hat zwar zuverlässig dafür gesorgt, dass ich nie abgerutscht bin. Mir ist es aber gerade bei flachen Volumen schwer gefallen, überhaupt ordentlich Gewicht auf die Füße zu bringen. In Kombination mit der vergleichsweise niedrigen Sensibilität hat das dafür gesorgt, dass ich zumindest bei anspruchsvolleren Volumenbouldern immer wieder zum Simond Edge Slipper gegriffen habe.

Hooken kann er, oder?

Seit ich Simond kenne, sind Heelhooks gleichzeitig eine der großen Stärken und Schwächen des Herstellers. Eine Stärke, weil die Schuhe zumindest meinen Fuß so sicher umschließen, dass ich selbst aggressive Hooks ziehen kann, ohne den Schuh zu verlieren. Hier lag aber auch eine der großen Schwächen. Denn das ging so weit, dass ich bei mehreren Modellen den Fersengummi beim Hooken abgerissen habe. Dass sich der Gummi überhaupt lösen konnte, lag an einem Designfehler, den Simond mit der Einführung des Edge-Schnürers beseitigt hat. Beim Edge Slipper wurde die Fersenkonstruktion noch einmal verbessert. Probleme hatte ich seitdem keine mehr. Für den Vertika Soft hat man die Fersenkonstruktion des Edge Slippers nahezu eins zu eins übernommen. Das ist erfreulich, weil diese sich als sehr robust erwiesen hat.

Das Fersendesign erinnert stark an den Edge Slipper. Eigentlich eine gute Sache. Das braune Gummi an den Seiten bietet allerdings weniger Halt. Heel Hooks rutschen so manchmal unerwartet ab.

Simond hat aber auch zwei Änderungen eingeführt, die auf den ersten Blick klein wirken, für mich jedoch einen riesigen Unterschied machen. Einerseits ist die Ferse geräumiger geworden. Andererseits wird sie jetzt nahezu vollständig von einem – je nach Modell – braunen oder weißen Gummi eingefasst. Das wertet den Look des Schuhs auf, ist nur leider keine rein optische Änderung, wie ich bei anspruchsvolleren Hooks feststellen musste. Wo die alten Modelle sicher gehalten haben, bin ich mit dem Vertika Soft immer wieder abgerutscht und musste oft viel mehr Kraft einsetzen, um den Fuß in Position zu halten. Offensichtlich bietet das gefärbte Gummi schlechtere Reibungseigenschaften und wird leider auch in Bereichen eingesetzt, auf denen man Hooks anlegt. Dass die Ferse größer ausfällt, ist für mich persönlich ein zusätzliches Manko, weil mein Fuß nun etwas Spiel hat. Während das natürlich von der Fußform abhängt und für andere ein echter Pluspunkt sein kann, bringt die neue Gummierung in meinen Augen keinen erkennbaren Vorteil.

Mehr Platz für Toe Hooks

In Sachen Toe Hook hat Simond einige willkommene Verbesserungen zum direkten Vorgänger vorgenommen. Das Toe Hook-Patch des Vertika Soft zieht sich im Großzehenbereich bis über den Spann und fällt damit etwas größer aus. Gleichzeitig wurde der untere der beiden Klettverschlüsse gestrichen. Dieser hatte sich beim alten Vertika zeitnah in Wohlgefallen aufgelöst, wenn man regelmäßig Toe Hooks legen musste. Dadurch eignet sich der neue Schuh zumindest theoretisch besser für das Zehengehakel. Zur ersten Wahl wird er trotzdem nicht. Dafür ist die Gummizunge auf dem Spann noch immer zu klein. Es kommt häufig vor, dass beim Toe Hook auch nicht gummierte Teile des Schuhs Trittkontakt haben. Diese bieten weniger Halt und sind auch nicht auf die Belastung ausgelegt. Für leichtere Toe Hooks mag das in Ordnung sein. Ein paar Mal mit Schmackes abzurutschen, bedeutet aber mit Sicherheit auch, dass sich die Lebenszeit des Schuhs merklich verkürzt. In Sachen Toe Hooks kann mich der Vertika Soft so nicht vollends überzeugen.

Was nun, Simond?

Alles in allem lässt mich der Vertika Soft ein wenig ratlos zurück. Simond hat einige sinnvolle Verbesserungen durchgeführt – das robustere Design der Ferse und des Spanns – sind im Vergleich zum Vorgänger ein Fortschritt. Trotzdem kann der Schuh diesen nicht vollständig schlagen. In puncto Sensibilität beim Antreten und Haftung bei Heel Hooks war das alte Modell meiner Meinung nach besser aufgestellt. Dafür glänzt der Vertika Soft gerade auf kleinen Tritten – obwohl der Name auf ein Modell schließen lässt, das sich besonders gut für Reibungskletterei eignen soll. Ich könnte mir deshalb vorstellen, dass der Schuh unter Seilkletterern seine Fans findet, die in den mittleren Schwierigkeitsgraden unterwegs sind und seltener schwere Hooks und Toe-Hooks ziehen oder auf flachen Volumen stehen müssen. Für die Herausforderungen des modernen Boulderroutenbaus, der stark auf große Reibungstritte, Balance und kontrollierte, dynamische Bewegungen setzt, ist der Schuh mangels Sensibilität nicht ausreichend gewappnet.

Eine Lücke, die gefüllt werden will

Das größte Problem des Vertika Soft ist meiner Meinung nach allerdings, dass er nicht nur den Vertika beerbt, sondern indirekt auch den Simond Edge und Edge Slipper ersetzt. Beide Modelle wurden etwa zeitgleich zur Einführung des neuen Schuhs aus dem Handel genommen. Gerade im Vergleich zum Edge Slipper zieht er deutlich den kürzeren. Der hatte schließlich das bessere Trittgefühl, eine flexiblere Sohle für Reibungskletterei und ein riesiges Toe Hook-Patch, was ihn perfekt für den Einsatz beim In- und Outdoor-Bouldern gemacht hat. Klar, der Edge war zuletzt mit einem Preis von 100 Euro noch einmal 20 Euro teurer als der Vertika Soft. Für mich sind die Unterschiede aber zu groß, um künftig einfach auf das günstigere Modell zu wechseln. Allein das Toe Hook-Patch war nach der Einführung des Edge Slipper Grund genug, ihn mir anzuschaffen. Vorher gab es keinen vergleichbaren Schuh im Simond-Sortiment. Dass es heute wieder so ist, finde ich persönlich schade.

Aber es gibt Hoffnung: Es ist keineswegs sicher, dass der Simond Edge keinen direkten Nachfolger erhält, auch wenn dieser noch nicht angekündigt wurde. Selbst die Rückkehr des Edge Slipper in seiner alten Form ist nicht ausgeschlossen. Die Simond-Mutter Decathlon hat in der Vergangenheit bereits aus dem Verkauf genommene Produkte in den Handel zurückkehren lassen. Ich persönlich würde beide Möglichkeiten sehr begrüßen. Bis dahin muss es mein alter Edge Slipper tun. Oder ich riskiere doch einmal einen Blick auf das Angebot der Konkurrenz.

//Update: Mittlerweile hat Simond den Nachfolger des Edge Slippers auf Instagram angeteasert. Der Name Edge Soft deutet darauf hin, dass es auch in diesem Fall wieder zwei Varianten geben wird. Der Edge Soft richtet sich dabei explizit an das Bouldervolk.

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2 Gedanken zu „Simond Vertika Soft im Test – Simond, wir müssen reden…

  1. Sehr interessant, dieser Beitrag und auch das Video auf YouTube. Tadellose Beschreibung und Meinung. Beim letzten Besuch bei Decathlon bin ich auf diese Boulderschuhe gestoßen und überlege, sie auszuprobieren. Derzeit trage ich die Hamora Tokyo von Madrock, aber für den Preis dieser Simonds denke ich, dass es sich lohnt, sie auszuprobieren. Eine Frage: Wie groß ist der Unterschied zu den Straßenschuhen? Wenn meine normale Größe 44 ist, würdest du mir dann 43 empfehlen?

    Danke für den Content! Viele Grüße aus Köln!

    1. Moin!

      Danke für das Lob. Ja, bei Simond braucht man es mit dem Downsizing nicht zu übertreiben. Eine halbe oder ganze Nummer unter Straßenschuhgröße sollte gut passen.

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